
© Andreas Klaer
Von Anna-Katharina Grieben: Zwischen Heraklit, Platon und dem Chaos
Die diesjährige Einstein-Stipendiatin beendete ihren Forschungsaufenthalt im Einstein-Haus Caputh mit einer philosophischen Arbeit
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„Panta rhei: alles fließt“ gilt als eine der Grundannahmen des griechischen Philosophen Heraklit. Was die Heraklit mit buddhistischer Philosophie zu tun hat, versuchte die Stipendiatin des Einstein Forums und der Zeit-Stiftung Dr. Amber Carpenter während ihrer Residenz im Einstein-Haus in Caputh herauszufinden. Dieser Aufgabe wandte sie sich in den vergangenen fünf Monaten zu und stellte als Resultat ihrer Arbeit das Paper „Ethics in Flux. Heracliteanism in Greece and India“ unlängst im Einstein Forum vor.
Die symbolische Komposition des Vortrags schien wie inszeniert. Die Direktorin des Einstein Forums Susan Neiman sprach von einem Ausbruch aus der alltäglichen akademischen Lehre, was als Auswahlbedingung für das jährlich vom Einstein Forum an Nachwuchswissenschaftler vergebene Stipendium erforderlich sei. Nicht so gesehen, dass man keine wissenschaftliche Form mehr bewahre, sondern vielmehr sich zwischen verschiedenen akademischen Disziplinen bewegen soll. Oder kurz „to switch fields“, wie es Neiman nannte. Die Symbolik des Grenzüberschritts wurde bildlich durch eine Fotografie des Widerstands gegen den EU-Gipfel 2003 in Thessaloniki untermalt, das von vorne in den Raum hineinwirkte.
Die britische Stipendiatin wollte in der Auseinandersetzung mit dem Thema der Ethik einen möglichen Raum des Dritten zwischen Heraklit und den buddhistischen Philosophen suchen. Durch die Auseinandersetzung zwischen westlicher Klassik und östlichen Studien gestaltet sich ein völlig neues Studienfeld.
Das Stipendium umfasst, dass die Fellows im Einstein-Haus in Caputh fünf Monate leben und arbeiten. „Das war eine besondere Situation“, sagte Amber Carpenter den PNN. „Der Gedanke, dass Albert Einstein hier gelebt hat, inspiriert dazu, die Zeit mit Denken zu verbringen.“ Für Carpenter war es ein produktives, substantielles Alleinsein. Sie erzählte, wie sie allein durch den umliegenden Wald spazierte, allein durch den See schwamm. Durch die Ruhe habe sie sich sehr gut auf ihr Forschungsthema konzentrieren können.
Doch berichtete die Britin auch von der Balance, die sie zwischen dem Alleinsein und dem Bedürfnis nach menschlicher Interaktion gesucht habe. Daher habe die Zeit im Austausch mit Anderen in den Bibliotheken und in Berlin ebenso viel zu ihrer Arbeit beigetragen, wie das Alleinsein in Caputh.
In ihrer Arbeit ging Carpenter, ausgehend von der heraklitischen Annahme, dass man nicht zweimal in den gleichen Fluss steigen kann, auf das Problem der Instabilität in den unterschiedlichen philosophischen Traditionen ein. Beginnend mit der buddhistischen Philosophie, in der Instabilität und Chaos als Teil des Lebens angesehen wird, beleuchtete sie die verschiedenen Dimensionen, die als ethisch erscheinen. Diese seien als Handlungsanweisungen beispielsweise im achtfachen Pfad oder den vier edlen Weisheiten, in denen der Weg des Lebens als Leiden beschrieben wird. Hierbei handle es sich nicht um Leiden im subjektiven Sinne, sondern um existentielles Leiden im „kafkaschem Sinne“, unterstrich Carpenter. In der buddhistischen Philosophie bilde das Verstehen von Leiden und Instabilität den Weg der Ethik und moralisch richtigem Leben bilde.
Demgegenüber stellte die junge Wissenschaftlerin die Annahmen Platons, der von einer Wahrheit der Welt ausgeht, die aber verborgen ist oder es sein kann, wie es im Höhlengleichnis beschrieben wird. Diese Welt der Ideen ist nicht der Veränderung unterworfen, nach den Ideen gilt es zu suchen. Die Suche an sich sei dabei als Ethik beschrieben. Für Platon wäre bei einer stetigen Veränderung des Ganzen, Moral unmöglich. Seine Annahme steht dabei im Widerspruch mit der Metaphorik des Flusses.
Von dieser Grundlage aus, versucht Carpenter Ansätze zu sehen, wo in der buddhistischen Philosophie und auch bei Platon sich die Gedanken der Moral und Ethik manifestieren, sich widersprechen, vielleicht auch Parallelen aufweisen. „Platon ist für den Sessel und Buddhismus für das wirre, tägliche Leben“, formuliert Carpenter.
Eine provokative These der Wissenschaftlerin lautete schließlich, dass Platons Ideengeschichte durch das Festhalten an dem Glauben an der Idee der Existenz von Wahrheit in gewissem Sinne eine faschistische Tendenz habe. „Albert Einstein wäre stolz gewesen“, honorierte die Philosophin und Konzeptkünstlerin Prof. Adrian Piper, die die Gesprächsleitung im Einstein Forum übernommen hatte. Die Arbeit während das Fellowships in Caputh hat für Carpenter indes weitere Früchte getragen. Sie wurde von der Universität von York, an der sie normalerweise lehrt, für ein einjähriges Lectureship nominiert und wird sich ein weiteres Jahr mit dem Thema „Methaphysik als Ethik in der Indischen Buddhistischen Philosophie“ auseinandersetzen können. Das Forschungsjahr will sie größtenteils in Berlin verbringen.
Anna-Katharina Grieben
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