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Sonntagsvorlesung: Militärhistoriker zur Rolle des 60. Jahrestages des Kriegsendes für die Deutschen
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Sonntagsvorlesung: Militärhistoriker zur Rolle des 60. Jahrestages des Kriegsendes für die Deutschen Von Carsten Dippel Auf die zwiespältige Erfahrung von Niederlage und Befreiung, die für die Deutschen in der Erinnerung an den 8. Mai 1945 liegt, ging zur Potsdamer Sonntagsvorlesung der Historiker Jörg Echternkamp vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) ein. Er zeichnete, vor einem leider nur kleinen Zuhörerkreis, ein Bild der letzten Kriegstage in Deutschland, das sich auf Briefe, Tagebuchaufzeichnungen und Spitzelberichte stützte. Ihm gelang es überzeugend, den 8. Mai in seinen historischen Kontext zu stellen, ohne dabei die unterschiedlichsten Empfindungen einzelner Schicksale auszublenden. Ohne den 30. Januar 1933, die „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten, wäre der 8. Mai 1945 undenkbar gewesen. Echternkamp betonte, dass es vor dem eigentlichen Krieg längst einen „Krieg nach innen“ gab: die brutale Gleichschaltungspolitik, die Verfolgung und Ermordung von Oppositionellen, Juden, Behinderten, Homosexuellen, von jenen, die als Feinde der „Volksgemeinschaft“ galten. Der Krieg schließlich war in seinem Verlauf und seinem schrecklichen Finale die Konsequenz der nationalsozialistischen Weltanschauung. Echternkamp sieht in dem berüchtigten „Nerobefehl“ Hitlers, der kurz vor Kriegsende die Parole der „verbrannten Erde“ ausgab, auch nicht die verzweifelte Tat eines Wahnsinnigen, sondern die logische Folge dessen Weltanschauung. Von Beginn an habe Hitler klar gemacht, dass zwischen totalem Sieg und absolutem Untergang kein Raum gegeben ist. In den letzten Kriegswochen wurden ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Mit voller Wucht schlug die Gewalt des Landkrieges auf Deutschland ein, das Bombardement deutscher Städte intensivierte sich. Plötzlich erlebte auch die deutsche Zivilbevölkerung die Front hautnah. Viele Deutsche sehnten sich nur noch nach dem Ende, auch wenn akute Angst vor den Folgen der Niederlage bestanden. In einem Feldpostbrief vom März 1945 hieß es, das Leben sei nun „schlimmer als der Krieg“. Es gab aber auch jene, die im Wahn des Endkampfes Krieg gegen die eigene Bevölkerung führten. Noch in den letzten Kriegstagen wurden Menschen von fanatischen Nazis ermordet, weil sie nicht mehr an den Sieg glaubten. Ganz anders erlebten diejenigen, die vom Naziregime verfolgt wurden, das Kriegsende. Sie sehnten sich nach dem Moment der Befreiung. Zugleich standen sie in der allgemeinen Untergangsstimmung in besonderer Lebensgefahr. Die Konzentrationslager wurden fluchtartig „evakuiert“, Tausende starben auf den grausamen „Todesmärschen“. Von den etwa 700 000 KZ-Häftlinge im Januar 1945 erlebten nur etwa 450 000 das Kriegsende. Die Vernichtungsmaschinerie der Nazis funktionierte bis „fünf nach zwölf“. Auch dies verdeutliche die bittere Konsequenz des Krieges: Der Nationalsozialismus konnte nur mit einer gewaltigen Kraftanstrengung und einem hohen Blutzoll niedergerungen werden. Dies relativiere das Leid der Deutschen nicht, es rücke das dramatische Geschehen des Kriegsendes aber in den richtigen Kontext. Echternkamp trat damit auch der weitverbreiteten Auffassung entgegen, man dürfe erst neuerdings über das Leid der Deutschen sprechen. Bombenkrieg und Vertreibung seien schon vor Jahrzehnten wissenschaftlich und öffentlich thematisiert worden. Gemessen daran, wo die Deutschen im heute stehen, erscheint der 8. Mai 1945 wie Lichtjahre entfernt. Wer hätte im Angesicht des völligen Zusammenbruchs geahnt, dass innerhalb weniger Jahrzehnte, zunächst ein Teil und inzwischen das ganze Deutschland in einer freiheitlich-demokratischen Ordnung lebt, die sich als stabil und etabliert erweist? In der Erinnerung an den 8. Mai 1945 zeige sich heute, so Echternkamps Resümee, der letztlich erfolgreiche Weg, den die Deutschen nach der von ihnen zu verantwortenden Katastrophe beschritten haben.
Carsten Dippel
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