Landeshauptstadt: Zwischen Vario-Tram und Sänfte
Potsdam auf der Suche nach Straßenbahnen Aufsichtsrat informiert sich bei Anbietern
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Potsdam auf der Suche nach Straßenbahnen Aufsichtsrat informiert sich bei Anbietern Von Günter Schenke Stadtwerke-Chef Peter Paffhausen steht auf dem Freigelände der InnoTrans, der Berliner Fachmesse für Verkehrstechnik, und betrachtet eine winzige „Schienenkatze“, wie sie Reparaturtrupps benutzen. „So sieht ein Combino aus, wenn alle Fehler raus sind“, sagt er sarkastisch. Gemeinsam mit Geschäftsführung und Aufsichtsrat des Potsdamer Verkehrsbetriebs (ViP) besuchte Paffhausen Dienstag die InnoTrans, um sich über das Straßenbahn-Angebot zu informieren. Das Trauma des Combino-Desasters ist bei diesem Messebesuch allgegenwärtig. Denn wenn die Schäden an dem Siemens-Produkt nicht aufgetreten wären, müssten sich Potsdam jetzt nicht auf neue Tram-Suche begeben. Trotzdem hielt das die Potsdamer „Messedelegation“ nicht davon ab, sich in das neue Siemens-Produkt „ULF“ zu setzen, das nach Auskunft der Techniker all die Fehler des Combinos nicht aufweist. Dreihundert Bahnen dieses Typs liefert der Konzern nach Wien, auf einem Video lässt er die Interessierten sehen, wie hervorragend die niveauregulierte Bahn mit ihren senkrecht im Wagenkasten stehenden Motoren ist. Paffhausen lobt die augenscheinliche Qualität, fragt aber: „Und warum konnten Sie die Bahn bisher nur in Wien verkaufen und nicht weltweit?“ – eine Frage, auf die keine plausible Antwort folgt. Statt dessen: „ULF hat bereits 13 Millionen Fahrgastkilometer ohne Beanstandung zurückgelegt“. ULF ist die Abkürzung für „Ultra Low Floor“ – also eine Niederflurbahn für bequemes Einsteigen – ein Muss für Rollstühle und Kinderwagen. Seit Juni dieses Jahres ist der Verkehrsbetrieb Potsdam aus den Lieferverträgen mit Siemens raus. Ob er sich wieder für Siemens oder für eine andere Firma entscheidet und aus finanziellen Gründen überhaupt entscheiden kann, ist laut Geschäftsführer Martin Weis derzeit völlig offen. Wenn es nach ihm ginge, würde er eine Ausschreibung schon im Oktober anschieben. Doch das wäre rekordverdächtig. Selbst wenn es im ersten Halbjahr 2005 damit klappt, dürften mindestens drei Jahre vergehen, bis das erste Fahrzeug geliefert in Potsdam auf der Schiene steht. Wenn überhaupt. Vielleicht wird in die alten Tatra-Bahnen nur eine Sänfte eingebaut. Eine Sänfte? Weis erklärt, dass die Tatras in der Mitte auf Niederflur umgerüstet werden können - durch Einbau einer Konstruktion, die an eine Sänfte erinnert. Eine Finanzfrage. 600000 Euro kostet eine Sänfte pro Bahn mindestens, dazu kommen Zusatzkosten von 200000 Euro. Dafür bekommt die Stadt einen aufgemotzten alten Fuhrpark. „Dann lieber gleich was Neues“, ist aus dem Aufsichtsrat zu vernehmen. „Von der Bestellung bis zur Auslieferung rechnen wir zwanzig Monate“, sagt Ulf Braker von der Firmer Stadler. Das Unternehmen, das unter anderem in Berlin-Pankow und Velten produziert, gehört zu den Favoriten, die Weis nach eigenem Bekunden bevorzugen würde. Doch seine Beurteilung zählt nicht viel, letztlich ist das Ergebnis der Ausschreibung entscheidend. Doch der Vip-Chef informiert sich mit dem Aufsichtsrat am Dienstag schon mal in der Pankower Produktionsstätte. In der Fertigungshalle stehen die mehr oder weniger kompletten Bahnen in leuchtenden roten und gelben Farben aufgereiht. „Variobahn“ heißt das Stadtbahnsystem. Die Variabilität erstreckt sich über die Länge, die Breite sowie die Spurweite. Hundert Prozent Niederflur bietet Stadler an – eigentlich das Wunschfahrzeug für Potsdam. Doch wo Licht ist, fällt auch Schatten. „Die Klebetechnik der Karosserie ist bei Reparaturen problematisch“, meint Weis, der sich ausschließlich über europäische Produzenten – neben Stadler und Siemens sind das Bombardier, Alstom, Skoda, Ansaldobreda und Inekon – informiert. In einer Messebox blitzt ein Hyundai-Cockpit auf: elegante Form. „Die Asiaten drängen auf den europäischen Markt“, sagt Weis. Aber bisher fährt noch keine dieser Bahnen in Europa. Außerdem sei die Achslast zu groß. An jedem Messestand ist zu spüren: Potenzielle Straßenbahnkäufer sind heiß umworben. Selbst für den großen Produzenten Bormbardier sind 25 bis maximal 47 Fahrzeuge keine zu verachtende Größenordnung. Für die Stadt Potsdam ebenfalls nicht: Für jedes Fahrzeug muss sie zwischen 2,5 und drei Millionen Euro aufbringen. Eine hohe Hürde in der gegenwärtigen Finanzlage – vielleicht reichen die Mittel am Ende nur für die Sänfte.
Günter Schenke
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