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Kultur: 16 mal Saitenkunst

Herausforderung und Wagnis, Bekenntnis und Genuss: Die „Streichquartettnacht“ im Nikolaisaal

Stand:

Was für ein Abend! Fünf Stunden lang die Königsdisziplin der Kammermusik. Fünf Streichquartette von Beethoven, darunter die Nr. 4 in c-Moll in zwei unterschiedlichen Interpretationen und pädagogisch aufbereiteter Beispielfassung. Dazu ein Streichquartett von Mozart und Sebastian Fagerlund. Zum Schluss dann noch ein paar moderne Spielereien, bei denen Lieder wie „Robots“, „Autobahn“ und „Model“ der Elektropioniere Kraftwerk auf 16 Saiten zu erleben waren. Schlicht mit „Streichquartettnacht“ war dieser Samstagabend im Nikolaisaal überschrieben. Nicht nur Konzert, sondern auch Wagnis und Bekenntnis. Denn das Streichquartett ist keine leichte Kost. Es gibt sie hier nur äußerst selten, diese Momente, in denen sich der Zuhörer zurücklehnen und die Musik einfach nur genießen kann. Das Streichquartett erfordert Aufmerksamkeit und Konzentration. Und im besten Fall sitzen nicht nur die Musiker vor Anspannung auf der Stuhlkante, sondern auch das Publikum. Das dann als eine Art Marathon mit drei Streichquartettformationen anzubieten, zeugt schon von Mut.

Den Anfang machte „Goldbergs Quartett-Duell“ im Foyer, das weniger Duell, sondern eine pointierte Möglichkeit war, unterschiedliche Interpretationen eines Streichquartetts zu erleben und kompositorische Details erklärt zu bekommen. Der Moderator Clemens Goldberg hatte dafür das Chiaroscuro Quartett – auf Darmsaiten, also historisch informiert – und das Meta4 Quartett – mit Stahlsaiten, also modern – auf die Bühne geholt und sie im Wechsel Ausschnitte und später das ganze Quartett Nr. 4 in c-Moll von Beethoven spielen lassen. Goldberg beherrscht die seltene Gabe, komplexe musiktheoretische Aspekte pointiert und verständlich zu erklären und somit den Zuhörer noch mehr zu sensibilisieren. So hatte man an diesem Abend die so seltene Möglichkeit, eine moderne und eine historisch orientierte Interpretation im direkten Vergleich zu erleben. Und auch wenn Clemens Goldberg seine Präferenz dem Chiaroscuro Quartett aussprach, war es reinster Genuss, beide Quartette diesen Beethoven spielen zu hören. Das Chiaroscuro Quartett auf Darmsaiten mit einem durch die Obertöne volleren Klangbild, schärfer und dramatischer in dem Kontrastreichen von Beethovens Komposition. Meta4 mit einem klareren, herrlichen nuancierten und so lyrisch singenden Klangbild, einem rasanten und förmlich packenden Zugriff. Allein dieses „Quartett-Duell“ war eine Sternstunde und man fragte sich, warum die Konzerthäuser solche Formate nicht regelmäßig anbieten. Denn ob Laie oder Musikkenner, davon kann jeder profitieren. Und es würde etwas Farbe und Abwechslung in das bekannte und leider auch schon etwas verstaubt wirkende Konzertablaufschema bringen.

In diesem Schema ging es dann mit den „Leib- und Magenstücken“, wie es im Programmheft stand, vom Chiaroscuro Quartett und Meta4 weiter. Chiaroscuro hatte Beethovens Nr. 11 in f-Moll ausgewählt, dazu Mozarts Streichquartett in Es-Dur (KV 428). Und der obertonreiche, packende und spannungsgeladene Ton, den diese jungen Musiker pflegen, war reinster Genuss. Wobei ihre schlanke und lustvolle Interpretation von Mozart zu einem Höhepunkt wurde. Bei Meta4, die mit „Verso I’interno“ des 42-jährigen Sebastian Fagerlund ihr „Streichquartett à la carte“ eröffneten, eine mal meditativ-verklärende, dann wieder kantig-vertrackte, widerspenstige Komposition, wurde Beethovens letztes Quartett Nr. 16 in F-Dur zu einem solchen Höhepunkt. Klar und von einer dramatisch geprägten Heiterkeit, tiefschürfend und so prägnant.

Nicht wenige der anfangs 150 Besucher verzichteten danach auf den Abschluss mit dem Balanescu Quartett. So eine Streichquartettnacht fordert nicht nur bei den Musikern Tribut. Was dann aber im Saal geboten wurde, war einfach auch ein zu starker Bruch zum Vorherigen. Die Nähe zwischen Musikern und Publikum, die im Foyer herrschte, war hier nicht mehr gegeben. Und dann spielte das Balanescu Quartett auch noch verstärkt, kam die Musik dröhnend aus großen Boxen. Das war einfach zu laut, für Feinheiten kein Raum und mit den eröffnenden Eigenkompositionen von Alexander Balanescu auch etwas zu trivial. So blieb von Beethovens „Großer Fuge“ nur ein monströses Lautstärkegebilde, dessen Ende man herbeisehnte. Und auch die Kraftwerkadaptionen hinterließen nur ein Schulterzucken. Dafür war das, was zuvor im Foyer zu hören war, einfach zu groß. Darum auch:  was für ein Abend! Dirk Becker

Dirk Becker

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