Kultur: 1725 Tage
Murat Kurnaz sprach über die Hölle von Guantánamo
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Murat Kurnaz ist eine beeindruckende Persönlichkeit. Das liegt nicht allein an seinem muskulösen Körper, der in seinen Dimensionen an einen Bodybuilder erinnert. Kurnaz ist durch das, was er erleben musste, wie er das durchgestanden hat und heute damit umgeht, darüber spricht, eine Persönlichkeit, die Respekt einflösst. Im Januar 2001 wurde der in Bremen geborene Kurnaz im Alter von 19 Jahren in Pakistan verhaftet, in ein Gefangenenlager im afghanischen Kandahar gebracht, um dann nach einem halben Jahr in das berüchtigte Lager auf der kubanischen Insel Guantánamo geflogen zu werden. Im August 2006, nach 1725 Tagen, kam er frei.
Beim „Incredible“ Filmfest war Kurnaz am Mittwoch zu Gast, um nach der Vorstellung des Films „Fünf Jahre Leben“, der unter anderem auf seinem Buch „Fünf Jahre meines Lebens“ basiert, über seine Erfahrungen zu reden. Kurnaz sprach ruhig und mit reflektierter Distanz über die Folter und Unmenschlichkeit. Fast wirkte es, als habe er einen gewissen Abstand zwischen sich und den Geschehnissen geschaffen, der ihm diese erstaunliche Gelassenheit erlaubt. Und was auch immer wieder spürbar wurde: diese Distanz, die zwischen Kurnaz und den Anwesenden bestand. Eine Distanz, die in der Tatsache begründet liegt, dass Kurnaz in Abgründe blicken, Erfahrungen sammeln musste, die für niemanden in dem fast ausverkauften Kinosaal auch nur ansatzweise nachvollziehbar sein können. Daran ändern auch sein Buch, der Film und solche Gespräche nichts. Trotzdem ist Kurnaz viel unterwegs, auch zusammen mit der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, um auf das Thema Folter und die Ungerechtigkeit in Guantánamo, wo noch heute über 160 Gefangene inhaftiert sind, immer wieder aufmerksam zu machen.
In „Fünf Jahre Leben“ hat Regisseur Stefan Schaller die Hölle von Guantánamo auf das Ringen des Verhörspezialisten Gail Holford (Ben Miles) und Kurnaz (Sascha Alexander Gerak) konzentriert. Es sind ihm erschütternde Szenen gelungen. Doch bleibt dieser Film immer nur ein Versuch, etwas näherzubringen, was sich im Grunde nicht näherbringen lässt. Am beeindruckendsten und tief erschütternd ist es, wenn Murat Kurnaz über die Zeit in Guantánamo spricht. Gerade weil er so gelassen, fast schon trocken darüber redet, wirken seine Worte umso klarer und gleichzeitig schwerer. Weil allein in diesen einfachen Sätzen einfach alles liegt. Gleichzeitig zeigt uns Kurnaz, wie sehr wir bestimmten Denkmustern und Erklärungsbemühungen verhaftet sind. Und dass er durch seine Erfahrungen aus einer anderen, sehr viel klareren Perspektive auf das Leben blickt. Als er aus dem Publikum gefragt wurde, ob er jetzt das Christentum hasse, denn die amerikanischen Soldaten in Guantánamo hätten ja, legitimiert auch durch die Rhetorik des damaligen Präsidenten George W. Bush, als Christen gehandelt, antwortete Kurnaz, dass er Religionen nicht nach Menschen beurteile. Denn sonst müsste er, der gläubige Moslem, ja auch den Islam hassen. Denn es waren Moslems, die ihn in Pakistan für ein Kopfgeld von 3000 Dollar an die Amerikaner verkauft hatten. Dirk Becker
Dirk Becker
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