Kultur: A song of two humans
Die amerikanische Band Lambchop verlieh dem Murnau Klassiker „Sunrise“ eine Tonspur
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Die amerikanische Band Lambchop verlieh dem Murnau Klassiker „Sunrise“ eine Tonspur Es hätte viel schief gehen können beim Filmkonzert mit Friedrich Wilhelm Murnaus „Sunrise“ und der amerikanischen Band „Lambchop“ am Mittwoch Abend im Nikolaisaal. Auf der einen Seite das Werk eines Exzentrikers, dessen Filme dank ihrer visuellen Kraft, durch Montage und der endlich vom Stativ erlösten „entfesselten Kamera“ längst ihren Platz in der Filmgeschichte haben. Wenige Jahre nach „Nosferatu“, jenem Film, den Murnau eine „Sinfonie des Grauens“ nannte, vollendete er mit „Sunrise“ 1927 einen großartigen und dennoch gescheiterten Versuch, dem Stummfilm eine Existenzberechtigung zu geben. Auf der anderen Seite eine Band aus Nashville, Tennessee, deren Name „Lammkeule“ wenig dazu angetan ist, lyrische Assoziationen hervorzurufen, deren sinfonische Popmusik aber ihrerseits keinerlei Bebilderung bedarf. Jedoch hat schon der 1931 in den USA gestorbene Murnau durch die Untertitelung seiner Filme eine Einladung zur Vertonung ausgesprochen. Als „A Song for two humans“ charakterisierte er seinen Film „Sunrise“, der die dramatische Wendung einer Ehekrise im Laufe eines einzigen Tages erzählt. Kurt Wagner, 45 jähriger Mastermind von Lambchop, nahm knapp 80 Jahre nach Entstehung des Films die Einladung an und fügte ihm eine ebenso dichte wie kunstvolle Tonspur hinzu, machte seine Musik zu einem einzigen fließenden Song, der weniger die Handlung des Films kommentierte, als die Ästhetik der Bilder. Die erzählte Geschichte im Film ist auch zu wenig spektakulär, genau genommen ist sie sogar bis zur Lächerlichkeit konservativ. Nur durch die ironische Brechung der geläufigen Klischees, wonach auf dem Lande die Idylle der Familieneintracht und in der Großstadt die Sünde herrsche, bleibt der Blick auf die Filmhelden liebevoll. Murnau zeigt, wie sich seine Helden gerade in der dörflichen Atmosphäre entfremden, hier wird gesündigt. In der Großstadt, in der die Eheleute durch die Varietés und das Nachtleben stolpern, finden sie sich wieder. In einer Szene verspricht die verruchte Geliebte dem Ehemann heiße Tänze in der Stadt, später wird dieser unter dem Beifall der Städter mit seiner braven Ehefrau dort einen ländlichen Tanz aufführen und in Ekstase geraten. Als die Eheleute versöhnt ihr neu gefundenes Glück auf einer Bootsfahrt genießen und sich an eben diesen Tanz erinnern, bewegt sich die Frau hingegebungsvoll zu der Musik von Lambchop. Es ist dies einer der magischen Momente des Abend, in denen das Raum-Zeit-Kontinuum aufgehoben und die Komponenten Film und Musik eine perfekte Symbiose eingehen. Mit sympathischem Understatement war die Band auf die Bühne gekommen und hatte sich mit dem Rücken zum Publikum und Blick auf die Leinwand an die Instrumente gesetzt. Bereits die ersten Takte zu den Bildern räumten jeglichen Zweifel aus. Die Musik, die auch auf der aktuellen CD „No you Cmon“ zu hören ist, passt, obwohl sie eine ebenso eigenständige künstlerische Handschrift hat, wie Murnau als Regisseur, kongenial zu dem Film. Aus dem „Song of two humans“ wurde eine Sinfonie, die Stimme von Sänger Kurt Wagner umschmeichelte die Bilder des Films, für die Charles Rosher und Karl Struss den ersten jemals vergebenen Oskar für Kameramänner erhielten. An den Stellen, an denen der Film kitschig wird, folgen ihm Lambchop und verweigern doch, genau wie Murnau, die überzogene pathetische Geste, die Schauspieler in der nahezu beendeten Stummfilmära so häufig zelebrierten. Andere Filmemacher, wie Fritz Lang, Sergej Eisenstein und Charles Chaplin waren inhaltlich sicher modernen als Murnau. Dessen Film ist antiquiert und modern zugleich, das sind die Musiker aus Nashville allerdings auch. Das Publikum war begeistert und tobte, die achtköpfige Band bedankte sich, auch hier auf große Posen verzichtend, mit der selben Lässigkeit, mit der sie auf die Bühne gekommen waren. Nur einmal noch erscheint Kurt Wagner auf der Bühne: Er hatte seine Zigaretten auf dem Verstärker liegen lassen. Im Film rauchte einzig die mondäne Großstadtdame, aber der Abend hatte ja gezeigt, dass nicht alle Klischees stimmen müssen. Moritz Reininghaus/Lene Zade
Moritz Reininghaus, Lene Zade
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