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INTERVIEW: „Aber im Bett bin ich wer“

Christian Klandt über seinen Film „Little Thirteen“, der am heutigen Dienstag im Filmmuseum zu sehen ist Da herrscht ein vorgefertigtes Bild. Ein Bild von Prekariat und Hartz IV.“

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Herr Klandt, Ihr Film „Little Thirteen“ handelt von Teenagern, im Grunde noch Kinder, für die Sex eine Art Sport zu sein scheint. Ein gesellschaftliches Phänomen, auch bekannt als Generation Porno, von dem wir nur zur gern glauben wollen, es beschränke sich auf ein paar wenige Jugendliche.

Ja, aber es beschränkt sich nicht nur auf ein paar Jugendliche. Wir reden hier von 42 Prozent. Das geht quer durch alle Milieus. Und „Little Thirteen“ hat nur bedingt mit dem zu tun, was seit ein oder zwei Jahren unter dem Begriff Generation Porno durch die Medien geistert. Es geht hier um Jugendliche, die relativ früh Sex haben. Aber die tun es ausschließlich, um ein Selbstbewusstsein aufzubauen.

Es geht bei diesem Sex um Selbstbewusstsein?

Da sind Gefühle von Minderwertigkeit. In der Schule wird man gemobbt, im Elternhaus läuft es nicht so gut und auch die beruflichen Perspektiven sind nicht gerade rosig. Aber im Bett bin ich wer. Da sammle ich Trophäen. Das ist der Antrieb.

Was gab für Sie den Ausschlag, aus diesem Thema einen Film zu machen?

Ich habe Interviews gelesen. Interviews von Kindern und Jugendlichen zwischen 9 und 17 Jahren. Und dadurch habe ich von einem Thema erfahren, das schon über zehn Jahre bekannt ist. Aber vor allem nur bei Sozialarbeitern, Mitarbeitern im Jugendamt und solchen, die sich mit Kindern und Jugendlichen sehr intensiv beschäftigen. Was ich da gelesen habe, das hat mich schockiert und auch empört. Und das war wie bei meinem Film „Weltstadt“, in dem ich die Geschichte von zwei Jugendlichen verarbeitet habe, die in der Nacht zum 16. Juni 2004 in Beeskow einen Obdachlosen erst verprügelten und dann anzündeten. Das ist ein Grundgefühl, das ich brauche, um einen Film zu machen. Rückblickend kann ich nur sagen, dass das Thema mich gefunden und dann nicht mehr losgelassen hat.

Haben Sie für „Little Thirteen“, der am heutigen Dienstag als Vorpremiere im Potsdamer Filmmuseum zu sehen ist, auch selbst Gespräche mit Jugendlichen geführt?

Ja, aber die haben zuerst immer nur von ihren Freunden erzählt. Sie sagten, sie würden das Thema kennen, aber nur durch Erzählungen ihrer Freunde. Wir haben dann auch Workshops in Jugendklubs gegeben, haben gesagt, dass wir da niemanden ausspionieren wollen, sondern einen Film planen. So ein gegenseitiges Kennenlernen.

Was Sie in den Interviews gelesen, was Sie in den Gesprächen mit den Jugendlichen erfahren haben, hat Sie das überrascht, weil sie das so nicht erwartet hätten?

Es hängt ja immer davon ab, mit welcher Erwartung man da rangeht. Ich suche nicht nach Themen, die schockierend sein müssen. Ich bin da mit keiner vorgefertigen Meinung ran, ich wollte da nichts bestätigt wissen. Ich habe zuerst geschaut und gesucht, wollte im Grunde persönlich herausfinden, ob das überhaupt stimmt. Und musste dann auch feststellen, dass einige Dinge noch viel drastischer sind. Da sind diese Gang-Bang-Partys, also Gruppensex, bei denen 13-Jährige zum ersten Mal Sex haben, damit sie einfach dazugehören. Die haben noch gar kein Gefühl dafür, wissen gar nicht so richtig, was das eigentlich ist. Aber sie machen das, weil alle aus der Clique schon entjungfert sind.

Aber lässt sich dieses Phänomen allein nur durch die Suche nach Selbstbewusstsein erklären? Oder spielt da der freie Zugang zu allen möglichen Pornoseiten im Internet nicht auch eine große Rolle?

Ja, das ist die eigentliche Frage. Und ich habe auch überlegt, wenn man keinen Anfang und auch kein Ende einer Geschichte erfährt, ob es dann überhaupt richtig ist, darüber einen Film zu machen. Also wenn man kein Happy End bieten kann, keinen Abschluss, keine Erklärung, keine Ursache. Aber ich bin kein Politiker oder Soziologe. Ich kann nicht seriös schildern, wo es anfing und wo es enden könnte. Ich bin Filmemacher und kann nur die Themen und Geschichten, die mich bewegen, durch meine Beschäftigung filtern und mit meinen Filmen den Menschen wieder etwas zurückgeben. Und natürlich gibt es dieses Phänomen der Zugänglichkeit, dass im Grunde jeder im Internet Pornos gucken kann. Aber schon die seriöse Werbung bedient das Klischee von: Du musst schön sein! Du musst sexy sein! Dann wird zwar immer auf Facebook geschimpft, aber es gibt da ganz andere Netzwerke wie Jappy oder StudiVZ, auf denen auch viel geflirtet wird.

Was spricht gegen das Flirten im Internet?

Nichts, aber ich kenne Jugendliche, die haben reizvolle Fotos von sich als Profil hochgeladen. Und wenn die nicht am Tag zwischen fünf bis zehn Mails bekommen, in denen steht „Hey, ich will mit dir ficken“, „Du bis ne geile Schlampe“ oder „Ey Bitch, komm, lass mal die Hüllen fallen, ich vögel dich“, dann sind die beleidigt.

Ein Phänomen, dass alle Milieus betrifft?

Ja, 42 Prozent, das ist sehr, sehr viel. An den Schulen, in den Cliquen gilt leider immer stärker der Grundsatz, dass man sexy sein muss, Markenklamotten tragen muss, ein iPhone haben muss. Und in vielen Mittelstandsfamilien, wo die Ehe funktioniert, man das Häuschen und zwei Autos hat, das Kind auf die Realschule oder das Gymnasium geht, ist man dann schockiert, wenn der Sohn oder die Tochter Porno-Rap-Videos oder Sexclips oder auf dem Handy hat. Oft drehen sie die ja auch selbst. Und dann sagen die Eltern entsetzt:  Aber wir sind doch gar nicht RTL-II-Vormittagsprogramm-Familie. Sie fragen sich nicht, was mit dem Kind los ist. Sie fragen sich, wie so was sein kann, wo sie sich doch so bewusst abgrenzen wollen.

Spricht da nicht auch der Wunsch, bestimmte Probleme nur auf bestimmte Milieus, wie hier auf Hartz-IV-Familien, zu beschränken?

Ja, da herrscht ein vorgefertigtes Bild. Ein Bild von Prekariat und Hartz IV. Aber es sind die Jugendlichen mit Geld, die es sich leisten können, zu Konzerten mit Porno-Rap zu gehen, sich solche Aufnahmen zu kaufen. Wir haben bei unseren Recherchen von einem 13-jährigen Mädchen in Frankfurt am Main erfahren, aus gut situiertem Elternhaus, das seine Jungfräulichkeit im Internet versteigert hat. Die hatte einfach Torschlusspanik, weil sie die einzige war, die noch nicht gevögelt hatte. Und die Eltern waren schockiert, weil das doch eigentlich ein Hartz-IV-Problem ist. Ist es aber nicht.

Wenn dieses Phänomen in irgendeiner Form 42 Prozent der Jugendlichen betrifft, warum ist es dann nur Eingeweihten wie Sozialarbeitern und Pädagogen bekannt?

Es hat 20 Jahre gebraucht, ehe das Thema Kinderarmut in Deutschland in den Köpfen der verantwortlichen Politiker angekommen ist. Jahrelang wurde immer nur gesagt, laut Verfassung und durch unsere sozialen Netzwerke könne es gar nicht möglich sein, dass es arme Kinder in Deutschland gibt. Erst als sich Prominente als Schirmherren bestimmter Organisationen engagiert haben, kapierten so langsam die Verantwortlichen. Und hier reden wir über ein Thema, das seit zehn Jahren bekannt ist. Für mich war das neu. Und darum auch der Film, um zu zeigen, dass unsere Kinder, unsere Zukunft sexuell verwahrlosen.

Das Gespräch führte Dirk Becker

„Little Thirteen“ hat am heutigen Dienstag um 20 Uhr in der Reihe „Premiere – Filme aus der HFF“ im Besein von Christian Klandt Vorpremiere im Filmmuseum in der Breiten Straße 1A. Im Anschluss ist ein Filmgespräch geplant

Christian Klandt, geb. 1978 in Frankfurt (Oder), studierte Regie an der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Babelsberg. „Little Thirteen“ ist sein Abschlussfilm.

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