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Kultur: Abgefahren

3. Kabarettwerkstatt im Obelisk

Stand:

Die Zugansage vom Hauptbahnhof hat es satt, keiner beachtet sie, niemand schätzt ihre Arbeit. Die Strafe folgt auf dem Fuße: „So, alle mal aufstehn, in die Hände klatschen, den rechten Arm heben ... – nun setzen!“ Man folgte. „Da könnt Ihr mal sehen, wie obrigkeitshörig Ihr seid“, spottete die junge Darstellerin von der Obelisk-Bühne ins Publikum hinab. Dieser Nummer gehörte zum neuen Programm der 3. Kabarett-Werktatt, welche wieder die Robert-Bosch-Stiftung ermöglichte.

Herrlich frisch und bühnensicher, einfallsreich bis unverschämt, präsentierten Schüler gehobener Klassen aus diversen Potsdamer Schulen ein selbstgezimmertes Anderthalbstundenprogramm, dem die Offiziellen vom Obelisk, Gretel Schulze, Andreas Zieger und Helmut Fensch fachgerecht „zugecoacht“ haben. Das Ergebnis wurde am Sonntagabend im vollen Haus präsentiert. Tosender Beifall, denn da wurde tatsächlich und völlig titelgerecht „Abgefahren in vollen Zügen“.

Ein recht bekanntes Bahnunternehmen gab diesmal den dramaturgischen Halt, was angesichts etlicher Pannen und Skandale gar nicht so abwegig ist: Eine Abiturklasse will einen Schul- und Bildungsausflug machen, doch erst kommt die Bahn nicht, dann fährt sie nicht ab, oder sie bleibt irgendwo in der Provinz stecken, in Groß Zöritz etwa, wo ein Großstadt-Dämchen mit den ländlichen Sitten hadert. Das ganze Programm ist zwischen Frust und jugendlicher Langeweile angesiedelt, Frust ist dabei der Favorit. Über geschwätzige „Terrorismusexperten“ im Fernsehen, wo zudem dauernd irgendein „Superstar“ gesucht wird, über die Verballhornung und Überfremdung der deutschen Sprache, in „Kowalski“ ob eines gleichgeformten Klassenzimmers, was einen Darsteller keck „Lehrer an die Wand!“ rufen ließ. Kabarett darf das, die bühnenverliebten Lümmel und Lümmelinnenn dieser „Werkstatt-Truppe“ sowieso, sie demonstrierten den oftmals vergreisten Brettern auch, wo es heute langgehen könnte – ostentativer Verzicht auf fast alle argumentierenden Kabarett-Formen! Spielen, singen und überzeugen kann man auch so.

Aufdringlich versucht der schwule Fahrkartenverkäufer einem Kunden die günstigste, für diesen jedoch nutzloseste Kaufvariante auszuschwatzen. Um den Koffer auf den Bahnhof entschärfen zu lassen, muß man sich durch telefonische Ja-Nein-Labyrinthe quälen. Zwei Jungen lassen per Spielkonsole Madonna gegen Jesus – inklusive Auferstehung – kämpfen, Eisberge fürchten das Antlitz von Angela Merkel nicht mehr, selbst der Trick mit den Fremdsprachen floppt, wenn ein studierter Romanist die Schwarzfahrer kontrolliert. Wirklich eine tolle Truppe, zu der auch ein souveräner sicher Tim Zieger am Klavier und jener „Landstreicher“ gehört, der bei seinen Auftritten besonders viel Beifall bekam.

Dies alles war so frisch und unkompliziert eingerichtet, so leicht und überzeugend gespielt, dass die dramaturgische Auflösung „Klassenfahrt oder Etüde für die Theater-AG?“ eigentlich witzlos blieb. Das kraftvolle „Fahr-nie-wieder-Deutsche-Bahn-Finale“ offenbarte dem Letzten, welchen Riesen die frustrierte Jugend da vor dem Untergang sezierte, per Kabarett, versteht sich! Gerold Paul

Nächste Vorstellung am 20. April, 19.30 im Kabarett Obelisk, Charlottenstraße 31

Gerold Paul

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