Kultur: Abgehobenes Gespräch
Köppens „Heeresbericht“ im Huchel-Haus
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Köppens „Heeresbericht“ im Huchel-Haus Den alten Römern galt es als „süß, fürs Vaterland zu sterben“. Sie standen ja unter der Herrschaft ihres obersten Kriegers, des Mars. Solange Victoria die Siege bescherte, mochte das in manchen Zeiten gehen, doch spätestens am Ende des 1. Weltkrieges sah man das anders. Nach gewaltigen „Materialschlachten" und etwa neun Millionen Toten ohne Aussicht auf den Lorbeerkranz wechselte die Perspektive. Der sterbende Soldat rückte ins Zentrum. Durch Henry Barbusse, Klabund, Ernst Jünger und anderen erfuhr die entsetzte Welt von Gaskrieg, zerfetzten Gliedern und zerschossenen Gesichtern im ersten „industriell" geführten Krieg der Neuzeit. Edlef Köppen (1893-1939) hatte das Pech, im Schatten von Erich Maria Remarque zu bleiben. Sein autobiographisch gefärbter Kriegsroman erschien etwa ein Jahr nach dem Welterfolg „Im Westen nichts Neues“ (1929). Anlässlich der Neuauflage des „Heeresberichtes“ durch die Deutsche Verlagsanstalt organisierte das Wilhelmshorster Peter-Huchel-Haus am Mittwoch ein Treffen der etwas anderen, nicht vordergründig literarischen Art. Von Köppen ausgehend, wollten der Historiker Jörg Friedrich („Der Brand") und Heimo Schwilk (Welt am Sonntag) „den historischen Hintergründen“ des Leidens und Sterbens im Kriege nachgehen, was sich nach zwei Stunden als etwas missverständlich erwies. Die Zuhörer mochten eher von Edlef Köppen hören, der ab 1930 unter Wilhelmshorster Kiefern wohnte – „Vier Mauern und ein Dach" erzählen lebhaft davon. „Heeresbericht“ schildert, von der Mobilmachungserklärung Wilhelm II. ausgehend, wie neugierig und kriegsbereit der Kanonier Adolf Reisiger 1914 ins Feld bei Arras gezogen, bis die völlige Erledigung seiner Batterie FAR 96 ihm die Sinne wandelte. Nach schrecklichen, aber auch erheiternden Szenen in einem Lazarett, wo er als Saupreuss mies, als gewandelter Sachse fast herrschaftlich behandelt wurde, steht die Sentenz „Ich will nicht mehr töten!“. Der Autor entlässt ihn freilich in den Wahnsinn. Hans-Jochen Röhrig las einige Kapitel mit ziemlichen Eifer, bevor begann, was den vollen und gutbelesenen Vortragsraum über zwei lange Stunden partout nicht zufriedenstellen wollte: Ein intellektuelles Zwiegespräch, um das Unerklärliche doch noch irgendwie zu packen. Heimo Schwilk, eigentlich zur Moderation bestimmt, erwies sich Jörg Friedrich in Sachen Jünger durchaus gewachsen – er schreibt ja gerade dessen Biographie! Jünger diente als Aufhänger für so viele Gedanken dieses Abends, welcher bald einer „Materialschlacht“ en miniature glich: Zug um Zug wurden neue Koryphäen ins Feld geführt, Einstein und Freud, Spengler und Bloch, hinzu kamen linguistische Übungen: Wo ist die Sprache expressiv, wo das Töten ästhetisiert, und Friedrich fragte das Publikum: „Was sagt uns diese Sprache, was können wir daraus lernen?" Nichts. Man argumentierte soziologisch, psychologisch, machtpolitisch, mit Freud, für Jünger, gegen Köppen, es wurde stinklangweilig. Das Publikum murrte. Wenn es um neue Thesen ging, war der Historiker ohnehin kaum zu bremsen: Zum Beispiel sah er den Grund für Deutschlands Niederlage 1918 nicht im Militärischen. Eher in der Kriegsmüdigkeit: Irgendwann „war das Selbstopfer der Soldaten sinnlos geworden“. Sie hatten keine Lust mehr, fürs Vaterland zu sterben. Doch gestand auch er ein, dem Thema in Gänze nicht beizukommen. Letztlich ist Mars der Täter, und Töter. So schlecht konnte dieser Abend doch nicht gewesen sein, Lutz Seiler vom Huchel-Haus bekam Anrufe der Kritik, aber auch des Dankes, der vielen Anregungen wegen. Es kann also weitergehen, zumal im Dezember ein Edlef-Köppen-Special geplant ist. Daran hat auch Marianne Kretschmann Anteil: Sie spendete aus den Einnahmen ihres Studios für „Thai Chi und Chi Gong“ zugunsten des Literatur-Hauses. Toll. Gerold Paul
Gerold Paul
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