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Kultur: Abgetragene Bedeutungsschichten

Zeichnungen und Skulpturen von Claudia Berg und Andreas Theurer in der Galerie Ruhnke

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Es sind zwei sehr unterschiedliche Handschriften, die die Galerie Ruhnke zurzeit präsentiert. Fast wäre man geneigt, sie in eine weibliche und eine männliche zu unterteilen. Da eine solche Sichtweise aber schon einmal heftigen Widerspruch bei den Galeristen hervorrief und zu einem eigens anberaumten Diskussionsabend führte, hütet sich die Kritikerin, von solchen Charakteristika zu sprechen. Dass die Blei- und Silberstiftzeichnungen von Claudia Berg bescheiden und scheinbar nebensächlich, die Skulpturen aus Bronze und Holz von Andreas Theurer dagegen gewichtig und Bedeutung tragend daherkommen, kann man einfach auch so sehen.

Die Zeichnungen und Drucke der 1976 in Halle geborenen Claudia Berg, die in Halle und Valencia studierte und nach China zu Studienzwecken reiste, zelebrieren das Nebensächliche, das, dem man normalerweise wenig Aufmerksamkeit zollt. Da gibt es Straßenansichten, die wie eine Skizze wirken, aus denen ein Haus und der davor stehende Baum wie Monumente einer untergegangenen, weil friedlichen Welt wirken, obgleich der Baum seine Äste in den Himmel streckt, als erhofften sie daher eine wie auch immer geartete Rettung. Oder aber, ihre Arbeiten tragen die Bedeutung ab, die durch die einschlägigen Fotografien oder Malereien mit dem Thema verbunden sind. Wenn da die „Halde bei Polleben“ gezeichnet daherkommt, ist sie all der Schwere bar, die man sonst aus sozialistischen Motiven kennt. Vielleicht hat die Künstlerin auch deshalb gerade eben den rheinland-pfälzischen Otto-Dietscher-Preis bekommen und ein Stipendium, das sie nach Vietnam führen wird.

Der Verzicht auf Farbe in ihren Arbeiten hat den eigentümlichen Effekt, dass der Betrachter sich allmählich nähert und dass er, wenn er sich denn die Freiheit dazu erlaubt, in eine besondere Art der Kontemplation geraten kann. Claudia Berg sagt, dass das Zeichnen mit dem Bleistift eine Arbeit sei, bei der sie „unser Universum, die Natur und die Kunst“ erkennt. Das Zeichnen ist für sie ein Medium, das eine intensive Aneignung ermöglicht. So kann sich der Betrachter in Straßenzüge, Plätze, Häuser, Bäume und Natur versenken. Eine Serie beschäftigt sich mit den Orten, die Goethe auf seiner Italienreise besuchte – Siena einmal ganz ohne die sonst typischen erdbraunen, eben Siena-Tönen. Das hat was.

Claudia Berg gegenübergestellt sind die Arbeiten von Andreas Theurer. Gleich am Eingang grüßt eine Holzskulptur, durchlässig und zugleich massiv. Recht schnell wird das Spiel klar, das der 1956 geborene Bildhauer und Professor, der in Afghanistan einen Workshop leitete, mit dem Interessierten spielt: Die Perspektive ist es, die ihn umtreibt. Egal, ob die Gebilde eine runde oder eine Trapezform haben, jedes dieser Objekte ermöglicht beziehungsweise erzwingt unterschiedliche Blicke je nach Standpunkt.

Im zweiten Raum hängt eine sich nach hinten offenbar verjüngende Skulptur, die nur auf der Oberfläche aussieht, als sei sie aus Zeitungspapier gemacht. Es ist ein streng gerahmter und perspektivisch sich am goldenen Schnitt orientierender Blick in historische Zeitungen, in die Zeit, als Eisenhower und andere sich um die „Lösung der deutschen Frage“ kümmerten: Es scheint ein Tunnel zu sein, in den wir da blicken, die Buchstaben (der Sinn also) werden nach hinten immer unleserlicher, in der Mitte klafft eine große, rechteckige Lücke. Auch ein Beitrag zur deutsch-deutschen Geschichte, besonders in diesem Jahr. Kubisch sind die anderen Formen, aus kleineren Würfeln treten Personen heraus, fein gearbeitet, auch sie immer wieder neu perspektivisch anzusehen. Auch da liegt die Assoziaton zur deutschen Geschichte nahe – allerdings wirken die Arbeiten in der Summe als Perpetuierung des ewig gleichen, fein abgezirkelten und geometrisch streng geordneten Prinzips.

Dennoch ist die Ausstellung insgesamt eine reizvolle Zusammenstellung zweier sehr unterschiedlich arbeitender Künstler. Lore Bardens

Freunde der Galerie Ruhnke können das Atelier Claudia Bergs und das Kunstmuseum Moritzburg besuchen sowie an einem Stadtrundgang teilnehmen: am 9. Mai von 8. 30 bis etwa 20 Uhr. Anmeldungen bis zum 17. April unter Tel.: 0331/5058086.

Lore Bardens

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