Kultur: Abgründig
Traumdeutereien bei KAPmodern
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Was man doch so alles träumt. Am Tag, im halbwachen Zustand, in der Nacht. Meistens ist es wirres Zeugs, an das man sich nach dem Aufwachen kaum noch erinnern kann – oder will. Ordnung ist da Fehlanzeige. Wie in dem Stück „From the grammar of dreams“ der finnischen Avantgardistin Kaija Saariaho, das einem Traum-Abend innerhalb der verdienstvollen KAPmodern-Reihe der Kammerakademie im Nikolaisaal Titel und Richtung gab. Logische Abläufe finden sich in dem, was zwei Soprane (Marie Schuppan, Claudia Reinhard) von der Empore aus ertönen lassen, nicht. Was schlechterdings auch unmöglich wäre, denn die strengen Bausatzregeln folgende Sprachlehre und zügellose Träume dürften einander ausschließen. Die Gesangsstimmen bewegen sich glissandogeschmeidig in exorbitanten Höhen. Bewundernswert. Anfängliches pures Gestöhn verwandeln sie in orgasmusgleiche Ekstase. Im Wechsel mit „Grammar“-Abschnitten trägt Schauspielerin Sophia Löffler „Träume“-Texte von Meret Oppenheim vor.
Um in diese und andere Traumgefilde eintauchen zu können, wird das Publikum, das sich in zwei Blöcken frontal gegenübersitzt und dem eine Traube aus später verschieden beleuchteten Lampions über den Häuptern schwebt, aus rück- und seitwärtigen Lautsprechern mit Straßenlärm und Stimmengewirr eingehüllt. Dann plötzliche Stille. Über die legt sich mit Avo Pärts „Spiegel im Spiegel“-Musik ein esoterisches Klanggespinst, das einen regelrecht einlullt. Was es ja auch soll. Ätherische Xylophonklänge vom insgesamt vielbeschäftigten Schlagzeuger Friedemann Werzlau und beruhigendes Kontrabass-Streichen von Tobias Lampelzammer (Idee und Konzeption) leiten die Reise ins Unterbewusste ein. Gelegentlich kündet ein watteweicher Schlag auf die große Trommel von der langsam verrinnenden Zeit.
Solcherart seelenentschleunigt und fast in einen psychedelischen Zustand versetzt, tritt aus dem Cafébereich die Mimin ins Spotlicht, um dem Publikum eine Tagebuchnotiz von Franz Kafka auswendig vorzutragen: modern, sachlich, hintergründig. Eine weitere Saariaho-Komposition, „Folia“ für Kontrabass und Elektronik, für die die Soundkünstlerin Cornelia Friederike Müller alias CFM verantwortlich zeichnet, führt in abgründige Bereiche. Die Saitenklänge werden verzerrt und verdoppelt, finden sich als Geräusche wieder: wacker gesägt, Tobias Lampelzammer! Das alles erinnert an bedrohliche Außerirdische, an Getier der undefinierbaren Art und Größe, Kriegsgräuel Dann die Entdeckung des Albtraumhaften, von Beat Furrer in „Fama IV“ für nur im Stehen zu spielende Kontrabassflöte (Bettina Lange) und Stimme zu Papier gebracht. Arthur Schnitzlers „Fräulein Else“ liefert dazu die surrealistische Folie, wobei der Text sozusagen in jaulende, knarzende, hechelnde oder fauchende Tiersprache transformiert ist und die Flöte als klangstimmliches Menschendouble fungiert.
Mit Heiner Müllers Bericht über einen klaustrophobischen „Mann im Fahrstuhl“ und dazu passenden Vertonungen von Lorca-Madrigalen durch George Crumb hat die Traumapokalypse ihren Höhepunkt erreicht. Sehr poetisch und irgendwie irdisch singt sich in John Cages „Dream“ Harfenklang zu melodischer Kontrabassbegleitung aus. Ach, ist das schön! Plötzlich reißt überlautes Weckerklingeln einen aus allen Träumen. Hübsche Pointe für ein beifallsfreudig aufgenommenes Traum-Programm. Peter Buske
Peter Buske
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