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Kultur: Abschied von der Ostalgie

Brillante Premiere des neuen Programms vom Kabarett Obelisk

Stand:

„Menschen, Tiere, Koalitionen“, lautet der Titel des aktuellen Stücks vom Kabarett Obelisk, mit dem Gretel Schulze und Andreas Zieger im Nu ihr Publikum einnehmen. Sie befinden sich damit endlich wieder auf der Höhe der Zeit und setzen sich mit aktuellen politischen Problematiken satirisch, wort- und stimmgewaltig auseinander. Noch mehr: Sie blicken sogar in die Zukunft und schauen voraus auf die in zwei Jahren anstehende Wahl.

Eigens dafür hat jeder eine neue Partei gegründet. Gretel Schulze führt die „Deutsche Anthroposophische Partei der Fleischfresser“ (DAPF) mit wunderbaren Seitenhieben auf Müslis und Ayurveda. Andreas Zieger bringt neue Energie durch seine „Sächsische Buddhistische Zentralpartei“ (SBZ) in die schöne deutsche Welt. Rasant rasen die Wortspiele nur so durch den Saal, immer mal wieder von einem Lied gekrönt, wobei Gretel Schulze in der Lage ist, sowohl alte Schlager à la Alexandra, als auch heftige Oper zu trällern, zu schnalzen und zu deklamieren.

Andreas Zieger am Klavier und mit ständig guter Laune pariert gekonnt die Seitenhiebe und gibt auch eigene Noten, so dem „Kampflied des DGB in G-Moll“, oder der „SBD“, die „in der Mitte zu weich“ und der „BDS“, die links zu weich sei. Als sich die beiden Konkurrenten um die Stimmen aller bei Christiansen treffen, ist es die reine Gaudi, zu sehen, wie sie Roland Koch den Mund verbieten und den ebenfalls anwesend-abwesenden Starfriseur Udo Walz auf den Arm nehmen. Platte Witze – „Was ist der Unterschied zwischen einem Türken und einem Sachsen? Der Türke hat Arbeit und kann Deutsch“ – , die durch Wiederholung extrem gewinnen, wechseln sich ab mit richtig guter Gesellschaftskritik und eben den Songs.

So ist trotz der Länge von zwei Stunden der Abend kurzweilig und verführt den bis zum letzten Rang besetzten Saal zu begeistertem Applaus.

Natürlich bekommt jeder Politiker sein Fett ab, der Reim von der „Ulla mit dem Mullah“ fehlt ebenso wenig wie die „Ich will, ich will, ich will“-skandierende Claudia Roth, und Angela Merkel als „Königin Europas“ wird als „die späte Rache Honeckers“ gedeutet. Das ist fast der einzige Hinweis auf die ehemalige DDR – das Kabarett scheint sich aus seiner Ostalgie komplett gelöst zu haben.

Diese Reinigung tut dem Ensemble ebenso gut wie dem Publikum, das seinen Spaß an den Parteiprogrammen und Kalauern hat. „Erkenne dich selbst und du weißt, wer du nie sein möchtest“, steht auf den Fahnen der Zieger-SBZ, Rindsroulade und Wurst auf dem Speiseplan der DAPF. „Wir Vollschlanken liegen keine fünf Minuten am Strand, da wollen Greenpeace-Aktivisten uns schon ins Meer zurücktragen“, witzelt die sehr agile Gretel Schulze und hat Spaß daran, die Dünnen, wie Paris Hilton, wegen des „Glückskleeblattes anstelle des Großhirns“ zu bedauern.

Mit Übungen wie „Maikäfer auf dem Stuhl“ belehrt Andreas Zieger die anwesenden Männer, sich durch die ellenlange Monologe ihrer Frauen beim Italiener mit allerlei Körperaktionen auf Trab zu bringen und am Ende immer noch sagen zu können: „Ja, Schatz, da bin ich ganz deiner Meinung“. Erfrischend auch die Kritik an der vierten deutschen Lautverschiebung, die weitgehend durch den Kapitalismus beeinflusst ist und keine verstehbaren Sätze mehr kennt, sondern nur noch eine Abfolge der die Inhalte ersetzenden Sponsoren. BMW, Drei-Wetter-Taft und Toyota sind die Herrscher über das Denken und die Sprache, aber davon lassen sich die beiden in ihrem fulminanten Programm mit gewagten Übergängen nicht beeinflussen und beherrschen hervorragend ihren Diskurs und die gute Laune des Publikums.

lore Bardens

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