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Kultur: Abstrakte Körperspiele

Herbstleuchten – Potsdamer Residenzen in der fabrik: David Brandstätter und Malgven Gerbes

Stand:

Drei Monitore stehen an den Seiten der großen, rechteckigen Tanzfläche in der Fabrik Potsdam. Darauf liegt eine Person in grauen, weiten Hosen und langärmeligen T-Shirt. Am Rand steht eine eher weiblich aussehende Person in weiten schwarzen Gewändern und hellerem Oberteil. Schon bald nimmt sie gehend, drehend, mit weiten Bewegungen die Fläche ein. Dazu macht sie stampfende und schlurfende Geräusche mit den Füßen. Es wirkt, als wollte sie den Liegenden aufwecken. So beginnt das Tanzstück „I don“t remember what time it was“ von David Brandstätter und Malgven Gerbes, das im Rahmen von „Herbstleuchten“ in der fabrik aufgeführt wurde.

Tatsächlich, schon nach wenigen Minuten reagiert der Mann am Rande, zieht sich langsam hoch und macht dazu quietschende Geräusche auf dem Boden.

Im weiteren Verlauf zeigen Malgven Gerbes und David Brandstätter in ihrem 35minütigen Stück eine Vielzahl von originellen Figuren und Bewegungen. Anklänge an klassische und moderne Tanzstile werden bewusst vermieden, dafür fließen akrobatische und pantomimische Elemente mit ein. Im ruhigen Mittelteil drapiert der Mann die Frau wie ein Malermodell, dazu geben die Lautsprecher knackende Geräusche von sich, später erklingen französische Satzfetzen von einer weiblichen Stimme. Zeitweise scheint sie eine Puppe zu sein, die von ihm gelenkt wird. Doch insgesamt bestimmt die Vermeidung beziehungsweise Umwertung von Stereotypen und Klischees die tänzerische Repräsentation. Man sieht eine Art von dekonstruiertem Pas de Deux, mechanisch, technisch und kühl. Ebenso gut könnte es ein Tanz gleichgeschlechtlicher Figuren sein. Mehr oder wenig eng verflochten ziehen , heben und drehen die Körper einander, doch die Funktion dieses Ausbruchs von Energie und Kraft führt, bleibt offen. Zum Abschluss hebt und trägt die weibliche Person den viel größeren männlichen Part über die Bühne. Beim Sprudeln von zwei akustisch verlinkten Minispringbrunnen und dem Flimmern der bisher stillen Monitore enden die abstrakten Körperspiele.

Sieben Tänzer bestreiten das zweite Stück „Rencontres“, das während der Residenz von David Brandstätter und Malgven Gerbes an der fabrik einstudiert wurde. Fünf Frauen und zwei Männer begegnen einander, wobei auch hier die geschlechtlichen Unterschiede schon von der Kleidung verwischt werden, ganz im Sinne des Gender-Mainstreaming.

In den ersten zehn Minuten von insgesamt 45 bildet sich eine Gruppe von Personen, die wie eine Molluske sich ausbreitet und wieder zusammenfällt. Zu plötzlich einsetzenden Zisch- und Gonglauten bewegt sich das Figurenknäuel über den Tanzboden. Mal liegen sie, mal richten sie sich auf, fassen sich an den Händen, verflechten und verrenken sich miteinander wie bei den beliebten Partyspielen dieser Art. Sind es Menschen oder sehr flexible Marionetten? Nach 20 Minuten vibriert es bedrohlich aus den Lautsprechern, nach 25 Minuten stehen alle vereinzelt da, schwanken und wanken wie Gräser hin und her. Nun beginnt ein hektisches Rennen, Suchen und Finden, die Tänzer führen kleine Solos und Duos auf, gelenkig, eckig, energisch. Den konkretesten Beitrag im Sinne einer Handlung liefern Ixchel Mendoza Hernandez und Pedro Rosa, die sich dreimal treffen und zu imaginärer Musik einen flotten Latinotanz andeuten. Doch jedes Mal werden sie von anstürmenden Anderen getrennt.

Das Ziel scheint möglichst viele wechselnde Konstellationen und Bewegungen zu liefern. Die so entstehenden, ruhelosen Variationen und Transformationen des Stücks „Rencontres“ repräsentieren nicht zuletzt eine Konstante des Tanzes an sich, in einem nüchternen, funktionalen und innovativen Stil.

Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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