Kultur: Abstraktion und Konkretion
Malerei, Collagen, Kalligrafie und Rollbilder: Chinesische Künstler in der Galerie Ruhnke
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China, wir wissen es, ist ein Land mit großen Spannungen. Es ist zerrissen zwischen einem frühkapitalistisch anmutenden Wirtschaftsboom, starken Traditionen, dem Übergang von der Diktatur zu einer Man-weiß-nicht-recht-Regierungsform. Kurz: Es brodelt dort.
Betritt man die Galerie Ruhnke, die „chinesische Perspektiven“ eröffnet, ist von dieser Spannung zunächst nichts zu bemerken. Im Gegenteil, eine von den Malereien und Zeichnungen ausgehende Ruhe umfängt den Besucher, hüllt ihn ein und lässt ihn schweigend von Raum zu Raum wandeln, angezogen von dem Sog der Bilder von fünf Künstlern und einer Künstlerin, die allesamt für uns sehr ähnlich klingende Namen tragen und sich einer Ästhetik bedienen, die viel mit der Tradition ihrer Kultur, aber auch mit deren Weiterentwicklung zu tun hat.
Die chinesische Malerei ist seit je stark der Kalligraphie verhaftet, die in Chen Jinhus Bildern die Ästhetik dominiert. Scheinbar schnell und mühelos vollziehen die Tuschezeichnungen des 1956 geborenen Künstlers eine Bewegung, der man sich gerne hingibt. Mal entstehen auf diese Weise Blütenblätter im Wind, mal sind es menschenähnliche schlanke Formen, die man zu erkennen glaubt, immer kombiniert mit chinesischen Schriftzeichen und einem zinnoberroten Siegel. Dieses tritt manchmal in Serie auf, wenn es sich der Linie von tanzenden Blumenstängeln, die auch Menschenbeine sein könnten, anschmiegt. Dann wieder erscheint nur einer dieser roten Stempel wie eine Marke auf dem Blatt. Schwarz, weiß und rot sind die Kontraste, die in spielerischer Weise miteinander kombiniert werden und eine Balance zwischen dem Schwung der Bewegung dünner Striche und der Ruhe größerer dunkler Flächen zaubern.
Er soll eine Gedichtzeile Mao Tse Tungs in einem dieser Werke verarbeitet haben, lautet eine Galeristen-Information. Rätselhaft bleibt dem Mandarin-Unkundigen vieles bei solcher Kontemplation, aber das kann den Reiz der Bilder noch erhöhen.
Cheng Shenghu ist 1960 in Shanghai geboren und kommt am kräftigsten daher: seine Bilder charakterisiert ein hoher Rotanteil, der das Schwarz in die Schranken weist und seine flächige Energie eindringlich in den Raum wirft. Von ihm stammen die „Rollbilder“, längliche Formate in praktischer Leichtigkeit.
Gu Gan aus Changsha ist 1942 geboren und seit 1985 der Vorsitzende der chinesischen Kalligraphie-Gesellschaft. Er beglückt den Besucher mit zwei Arten seiner Werke: da gibt es einmal die stark westlich geprägten Irland-Reise-Bilder, und die schwarz-grau-weißen Arbeiten, bei denen er einen Wald aus seltsam soldatisch wirkenden, abstrakt gehaltenen Kreuzmännchen pflanzt. Doch spielerisch ist er immer, auch bei diesen scheinbar strengen Bildern sieht man hier und da etwas leicht Buntes durch das Gestrüpp hindurchschimmern.
Die einzige ausstellende Frau, Guo Ying, ist erst 1978 geboren und erfreut mit ins Abstrakte übergehende flächigen Landschaften. Zhuo Hao liefert entzückend zarte und kindlich verspielte Bilder, die der traditionellen Malerei am entferntesten scheinen. Stark auch die Schmirgelpapierwerke von Qi Yang aus Wuhu, deren abstrakte, scheinbar willkürlich geformte Rissigkeit ganze Gebirge enthüllt und eine Sicherheit der Formgebung zeigt, die ihresgleichen sucht.
Allen Arbeiten gemeinsam ist die gelungene Symbiose zwischen Abstraktion und Konkretion. Zudem sind die Werke aus dem Reich der Mitte noch bis Ende August zu einem erschwinglichen Preis zu haben. Alles in allem ein lohnenswerter Besuch.
Galerie Ruhnke, Hegelallee 41, „Chinesische Perspektiven“, Malerei, Collagen, Rollbilder, Kalligraphie, zu sehen bis 27. August.
Lore Bardens
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