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Kultur: Aggressiv bis sinnlich

Den regionalen Vertretern der Neuen Musik fehlte beim Festival „Intersonanzen“ ein wenig Leichtigkeit

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Alle Jahre wieder feiert die Neue Musik in Potsdam das Festival „Intersonanzen“. Meistens ist man ganz exklusiv unter sich. Schon beim spärlich besuchten Eröffnungskonzert in der fabrik Potsdam gehörte etwa die Hälfte der Zuhörer zum Kreis der Mitwirkenden. Ob die putzige Gartenidylle auf der Bühne ein Sinnbild der kleinen Oase der Neuen Musik darstellen sollte, ist fraglich.

Da sitzen die Musiker des Berliner Ensembles Lux:mm unter einem Tor mit der Inschrift „total sozial“, eingegrenzt von einem weißem Holzzaun und in Gesellschaft einer Dame im Blümchenkleid, die bunte Cocktails zubereitet. Dazu nervt eine menschliche Hundegestalt mit langen Zottelhaaren und lautem Bellen – wenn auch ganz artig nur in den Pausen –, die eine Pizza vorgesetzt bekommt, bevor sie im Glashaus eingesperrt wird und zuletzt davontrotten darf. Der Musik tut diese Szenerie mit dem altbekannten, längst nicht mehr originellen Topos der spießigen Kleingartenwelt, den die Berliner Künstlergruppe club real hier bemüht, jedenfalls keinen Gefallen. Immerhin weiß man am Ende endlich, woher der Name Laubenpieper kommt. Denn schrille Pieptöne gibt es reichlich zu hören. Bei aller Unterschiedlichkeit der einzelnen Stücke verbindet sie doch alle der Kanon – um nicht zu sagen, das Dogma – der Neuen Musik.

Rhythmus, Melodie, Harmonie und Tonalität werden gemieden, dafür umso lieber Geräusche aller Art erzeugt. Wenn dann noch wortreiche Erklärungen oder eingespielte Texte einen Sinn erzeugen sollen, begegnet man einer Art von Antimusik, die sich anscheinend selbst abschaffen möchte. So raunt im Stück „Pros and Cons“ von Susanne Stelzenbach, die in diesem Jahr das Festival „Intersonanzen“ künstlerisch leitet, eine Stimme ebenso beschwörend wie gebieterisch im Pluralis majestatis von der „Absurdität unserer Glitzerwelt“ und dem „Spiel, das uns spielt“.

Dagegen verwebt Stefan Lienenkämper in seinem Quintett „In jedem Tropfen der Geschmack des ganzen Ozeans“ für Saxophon, Posaune, Violoncello, Akkordeon und Klavier ambitioniert und einfallsreich diverse Klangfiguren zu einem runden Ganzen. Doch bei der Mehrzahl der Stücke überwiegt ein unentspannter, aggressiver Tonfall, an- und abschwellende Gesten bis hin zu schauerlichen Klängen, die dem Orkus zu entspringen scheinen. Als das Saxophon grell aufjault, meint eine Zuhörerin gar den Hund bei seinen letzten Zuckungen zu hören.

Beim zweiten Konzert ging es traditioneller zu, heiliger Kunsternst prägte zumindest die ersten Werke. Ganz im Sinne der alten Praxis, nach der die Musik dem Wort folgt, ist das Stabat mater von Albert Breier gebaut – eine detaillierte, sensible Gestaltung von sechs Strophen des mittelalterlichen Hymnus mit einem emphatischen Finale.

Glanzvolle Akzente setzt die formidable Sängerin Irene Kurka, während Ehrengard von Gemmingen souverän auf dem Cello spielt. Gabriel Iranyis Lieder nach Texten von Hölderlin und Ingeborg Bachmann verweisen mit ihrem rezitativischen Gestus noch auf die Begründer der modernen Musik wie Arnold Schönberg. Experimentell verspielt geht es in Stefan Lienenkämpers „Soliloquy/Ending“ weiter, bei dem nicht nur Stimme und Cello, sondern auch zwei flexible Stäbe zur Geräuscherzeugung eingesetzt werden. Dass Musik auch ein sinnliches Vergnügen sein kann, zeigt sich beim Konzert am Samstagnachmittag mit dem famosen NyKy-Trio aus Italien. Als lebendig, sogar lustig, mit klaren Formen und klangschönen Gesten gebaut erweisen sich die kleinen Stücke der italienischen Komponisten – von Andrea Cavallaris Tableau in klassischer ABA-Form über die zu Musik gewordenen Gedankenbewegungen in Norberto Oldrinis Duett für Flöte und Sopransaxophon bis hin zum kuriosen Flötenmonster von Fabrizio de Rossi und zu Antonio Bellandis introvertiertem Saxophon-Solo P-neuma.

Andrea Biagini, Flöte, Michele Bianchi, Saxophon, und Simone Nocchi, Klavier, erweisen sich als hochvirtuose Musiker. Eine Hommage an das italienische Erbe der Musik als Klanglust bildet auch „Il racconto dell’assalto“ von Giorgio Taccani.

Das ist weit entfernt von der selbstverliebten Eitelkeit, die so manch ein anderes Werk mehr oder weniger penetrant prägte. Wäre dem nicht so, gäbe es bestimmt mehr Zuhörer für die Neue Musik jenseits der selbst gebauten Grenz- und Gartenzäune. Babett Kaiserkern

Babett Kaiserkern

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