Großes Todessehnen beim Orgelsommer: Alle Schleusen weit geöffnet
Unbeschwert und zum Schenkelklopfen heiter, wie beim letzten Orgelsommerkonzert in der Erlöserkirche mit dem Duo Ai Yoshida/Alex Gai, wird es diesmal nicht werden. Für seinen Auftritt am vergangenen Mittwoch in der Friedenskirche hat sich Matthias Jacob, langjähriger Kirchenmusiker des Hauses, Gewichtiges auf sein stilistisch kontrastreiches Programm gesetzt.
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Unbeschwert und zum Schenkelklopfen heiter, wie beim letzten Orgelsommerkonzert in der Erlöserkirche mit dem Duo Ai Yoshida/Alex Gai, wird es diesmal nicht werden. Für seinen Auftritt am vergangenen Mittwoch in der Friedenskirche hat sich Matthias Jacob, langjähriger Kirchenmusiker des Hauses, Gewichtiges auf sein stilistisch kontrastreiches Programm gesetzt. Mit dem 2004 eingeweihten Instrument, der sinfonisch disponierten Woehl-Orgel, ist er ja bestens vertraut. Damals hatte der Potsdamer Komponist Gisbert Näther ein verspieltes „Präludium festivum“ beigesteuert, das von Matthias Jacob erfolgreich aus der Taufe gehoben worden war.
Nun also wieder ein Stück, das die spieltechnischen und registratorischen Möglichkeiten des Woehl-Instruments weidlich ausnutzt. Intervallreich und dissonanzengeschwängert geht es zu, toccatisch vorantreibend auch. Da ist ein barockes Thema auf moderne Weise verarbeitet. Trompetenstöße, akkordische Aufgeregtheiten sind zu hören, celestaartige Register werden gezogen, raffinierte Farbwechsel vorgenommen. Das Schwellwerk bekommt reichlich zu tun – es ist für ätherische Höhenausflüge und wabernde Seelenmassagen zuständig. Viele Tongestalten erscheinen dabei wie in ein Messiaensches’ Klanggewand gehüllt. Und immer wieder trifft Prinzipalschärfe auf geradezu kammermusikalisches Fließen – und auf schrille Eruptionen.
Fast wie ein schlichtes Lied ohne Worte klingen Präludium und Fuge G-Dur op. 37 Nr. 2 von Felix Mendelssohn Bartholdy: ein ruhiges Dahinschweben von Klängen und Linien, beinahe ohne Ziel und Ende, lieblich und besinnlich registriert. Im Gegensatz dazu die pedallastige, gravitätisch einherschreitende Fuge mit ihren Anklängen an die barocke „b-a-c-h“-Tonfolge. Im Kontrast dazu die ausladende A-Dur-Fantaisie von César Franck, an den in fast allen diesjährigen Orgelsommer-Konzerten anlässlich seines 125. Todestages erinnert wird. Voluminös und dunkel getönt, durch und durch romantisch und mit manchen Echowirkungen spielt es Matthias Jacob. Es driftet in die Nachdenklichkeit ab, öffnet sich gefälligen Harmonien. Diese Kontraste von Hell-Dunkel, Weich-Schroff, Laut-Leise kostet der Organist lustvoll aus. Um sich anschließend nicht weniger genüsslich in die romantische Bearbeitung des Bach-Schemelli-Chorals „Komm, süßer Tod“ BWV 578 durch Virgil Fox zu versenken.
Diese Textvorlage drückt in hohem Maße barockes Hoffnungsgefühl aus, dass in der anderen Welt alles besser sein werde. Ein Teil der Kirche soll da inzwischen anderer Meinung sein. Ein Mix aus verschwimmenden Zungenstimmen wabert durch den Raum. Die Emotionsschleusen sind weit geöffnet: ein Schmachtfetzen sondergleichen. Spätestens hier mag in manchem Hörer die Erkenntnis reifen, dass dieses Todessehnen sich gleichsam wie ein thematisches Detail durch das Programm zieht. Zumal einer der „Vier Choräle im alten Stil“ des 1953 geborenen österreichischen Komponisten Maximilian Kreuz auf jenem „Komm, süßer Tod“ basiert. Nunmehr allerdings kraftvoll und chromatisch à la Reger gedeutet. Dessen Introduktion und Passacaglia f-Moll aus „Monologe“ op. 63 Nr. 5 und 6 setzen dem Konzert seinen ausdrucksgewichtigen Höhe- und Schlusspunkt: Aus düster-getragenem Beginn entwickeln sich bewegte Episoden, die allmählich und zunehmend stürmischer in die finale Klangentfesselung münden. Eine meisterliche, beifallsstark belohnte Deutung. Peter Buske
Peter Buske
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