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Kultur: Alle Türen zu

Borcherts „Draußen vor der Tür“ im Theaterschiff

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Borcherts „Draußen vor der Tür“ im Theaterschiff Erst Stalingrad, dann tausend Tage Sibirien. Hungrig, zerlumpt, an Leib und Seele geschädigt, kommt Unteroffizier Beckmann in seine Heimatstadt zurück. Der Krieg hat ihn zu einem „Witz“ gemacht. Noch immer trägt er den langen Soldatenmantel, seine Frisur wird als „komisch“ empfunden, grotesk erscheint der zivilen Nachkriegsgesellschaft gar seine Gasmaskenbrille. Beckmann, 25, wirkt wie ein Gespenst in Hamburg, wo nichts mehr so ist, wie es war. Alles zerbombt, sein Kind tot, die Frau liegt mit einem anderen im Bett. Zudem macht ihn das Gewissen für den Tod von zehn Kameraden haftbar. Alle Türen zu, kein Weg, keine Straße, keine Hoffnung, selbst die Elbe spuckt ihn wieder zurück – er soll erst einmal leben, bevor schon wieder gestorben wird. So ist die Ausgangslage in Wolfgang Borcherts berühmtem Stück „Draußen vor der Tür“, 1947 in nur einer Woche als Hörspiel geschrieben, kurz bevor er 26-jährig verstarb. Seit dem Wochenende ist es in einer komprimierten Inszenierung von Wilfried Mattukat auf dem Theaterschiff an der Havel zu sehen. Bei der Premiere am Freitag habe er in manches Besuchers Augen Tränen entdeckt, erzählte er, obwohl er „Neunzig Minuten in Moll“ eigentlich vermeiden wollte. Tatsächlich ist das Stationendrama, von einem sichtlich gewachsenen Ensemble gewollt und mit eigenem Geist erfüllt, eine kluge Mischung aus Seelenschmerz, existentieller Befragung, Poesie und norddeutschem Humor. Mattukat widerstand jeder Versuchung, diesem Text (leicht gekürzt) mehr Aktualität hineinzuinszenieren, als er von sich heraus zu geben bereit ist. Von einigen Bildern abgesehen, etwa der submarinen Szene der Elbe (Constanze Jungnickel), vertraute die alerte Amateurgruppe Borcherts plastischem und oftmals tiefem Wort. Mit Erfolg, alle Darsteller mussten aus sich heraus zu anschaulicher Glaubhaftigkeit finden. Wenn man im Publikum gelegentlich Tränen entdeckte, dann darf das wohl als gelungen gelten. Bob Schäfer gab den Protagonisten in dieser Art, verinnerlicht, suchend, selten larmoyant, in Aktiv und Passiv fast ausgewogen. Seine Begegnung mit dem hilfsbereiten Mädchen (Anke Orschinack) gehört zu den poetischen Stellen der Inszenierung. Unaufwändig jene Szene, wo Beckmann seinem Oberst (Mathias Iffert) die Verantwortung zurückgeben möchte, dieser sich aber über den steifbeinigen Sucher lustig macht. Zunehmend lebensmüde, redet sich der Protagonist immer tiefer in seine Opfer- und Anklagerolle hinein, zumal er durch eine herrlich schnoddrige Frau Kramer (Karoline Weiß) vom Freitod seiner Eltern erfährt. Hilfe soll sein Alter Ego in Gestalt des „Anderen“ bringen, der Jasager zum Leben, aber trotz warmer Stimme und guter Körpersprache gelingt das (warum in Schwarz?) Katrin Schüring nicht zwingend. Hier war Borcherts Wort zu blass, die Regie hätte ihr vielleicht auch das Tun gestatten sollen, im schwarzen Kabinett von Thorsten Walenta, dessen Zentrum eine Türe ist. Der Ankläger Beckmann wird am Kabarett abgewiesen, begegnet „Gott, an den keiner mehr glaubt“ (Rüdiger Braun mit professionellem Format), dem Tod (Karl-Heinz Konrad). Als man Traum und Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden kann, bringt der Mann (Mathias Iffert) des poetischen Mädchens die entscheidende Wende: Er erklärt jenen zu seinem Mörder! Zu klein in der Inszenierung, welche die Zuschauer mit dem leicht selbstironischen Schlussdialog eines vielleicht sterbenden Helden entlässt. Trotzdem Chapeau! Nochmals am 15. Oktober.

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