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Die Musik zeigen, nicht das Gesicht. A Band of Crickets.

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Kultur: Alles fließt, alles erstarrt

A Band Of Crickets bringt ihr Debütalbum heraus

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Die Momente sind selten, in denen man eine Band schon zum Debütalbum mit Vorschusslorbeeren ausstattet. Aber die Formation A Band Of Crickets, bestehend aus Potsdamer und Berliner Musikern, hat sich genau die redlich verdient: Das Album „Inter Larvas“, das am gestrigen Freitag veröffentlicht wurde, ist mit so viel Potenzial ausgestattet, dass man von den Musikern in Zukunft noch ganz Großes erwarten kann. 14 Tracks sind darauf zu finden, von denen jeder einzelne grandios ist.

Mag die Zeit des Trip-Hop, der Anfang der 90er-Jahre, als „Bristol-Sound“ in die Musiklandschaft einschlug, überholt erscheinen – hier dringt er so zeit- und gnadenlos ins Ohr, als wäre er eben erst entstanden. Das liegt sicher auch daran, dass sich A Band Of Crickets an eben den gewaltigen Vorbildern orientiert, die diese introvertierte Atmosphäre geprägt haben: Massive Attack hört man raus, Portishead, und die Stimme der Sängerin ist eindeutig an Björk orientiert.

Doch wer steckt hinter der Band? Wir wissen es nicht. Doch schon der Titel verrät es – „Inter Larvas“, lateinisch für „Unter Masken“. Teil des Konzeptes ist es nämlich, sich in sicherer Entfernung der Musik zu positionieren, um diese ganz wirken zu lassen. Ein Kollektiv, das sich um drei feste Musiker schart, die Gesichter hinter der Musik bleiben unsichtbar: „Assoziationen durch Aussehen, Alter, Geschlecht und Herkunft sollen irrelevant, die Songs überraschend und frei von jedweder Erwartungshaltung werden“, heißt es seitens der Band. Steht die Band also für radikale Offenheit, so betrifft diese nur die Musik – die Identität der Menschen dahinter schließt das nicht mit ein. Man ist so als Zuhörer gezwungen, sich ganz der Musik hinzugeben.

Licht aus, Lautstärke hoch – der Sound der Band ist so flirrend, magnetisch, eindringlich, Momente voller ängstlicher Zärtlichkeit, dass er im trip-hop-typischen Zeitlupentempo ein Bedrohungsszenario schafft. Wer die panischen Momente, bei denen man sich kaum zu bewegen wagte, bei Björk zu schätzen wusste, kann dieselben paralysierenden Effekte hier gnadenlos wieder erleben.

Das ganze Album ist so komponiert, dass sich die Atmosphäre Schritt für Schritt hin zum Weltuntergang aufbaut. Schon der Eröffnungssong „aurora“ ist eine so zärtliche Hymne – ein Klagelied, das sich über acht Minuten erstreckt, in denen man nicht zu atmen wagt. Da geht das Zirpen der Grillen, das in den Sound eingeflochten wird, fast unter: Dabei sind die Grillen – im Englischen „crickets“ – doch die Namensgeber der Band. Man findet sie wieder. Doch schon das Ende von „aurora“ lässt ahnen, wohin die Reise geht: Im zweiten Stück „zero“ dominieren Synthies und Bässe: Willkommen auf dem Dancefloor, der Bass wummert. Eine hervorragende Tarnung: Der Text handelt davon, wie ein Unbeteiligter in das Bombengewitter eines Krieges gerät: „Good to go – I’ve got to leave, this place is killing me“, singt die Sängerin mit einer lasziven Erotik, die sonst eher im R ’n’ B zu Hause ist.

A Band Of Crickets experimentieren mit elektronischer Musik, lassen sich treiben – bereits der dritte Track „aesop“ schwebt in federleichten Reggae-Rhythmen voran. Und da ist die Grille wieder, zentrale Figur einer Fabel Aesops: Sie zirpt, während andere sich auf den Winter vorbereiten – jetzt ist der Winter da, und niemand will der Grille Asyl gewähren. A Band Of Crickets lassen die Grille weiterzirpen. Viel Metaphorik also. Auch die anderen Texte sind Geschichten, weit entfernt von bloßer Aneinanderreihung von Worthülsen. Liebesgeschichten reihen sich an fatalistische Untergangsfantasien, im „boats“ geht es um die Boatpeople, die jenseits des Meeres die große Erfüllung suchen – das alles wird umrahmt von dieser Musik, die alles umfließt und alles erstarren lässt.

Lange haben sich A Band Of Crickets um Live-Konzerte gedrückt. Das wird mit diesem durchschlagenden Album jedoch nicht mehr zu vermeiden sein: Es wird demnächst ein Konzert geben, so viel Information war immerhin zu erhalten. Wann und wo, das ist noch offen. Oliver Dietrich

Oliver Dietrich

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