Kultur: Alles Wahnsinn
Stein & Sturm im T-Werk mit Bernhards „Watten“
Stand:
Watten oder nicht watten? Diese Frage beschäftigt den merkwürdigen Herrn in seiner „Baracke“ genauso wie Hamlet die bekannte Suche nach dem „Sein“. Der 1931 pikanterweise in einem niederländischen Kloster geborene Autor Thomas Bernhard war nun zwar kein Shakespeare, aber sein kompliziertes Leben nebst zugehörigem Werk treibt auch achtzehn Jahre nach seinem Tod noch so manchen um.
Am Sonnabend las das Berliner Schauspieler-Duo Stein & Sturm von nur wenigen Besuchern frequentiertem T-Werk den 1969 entstandenen Text „Watten“, worunter ein nicht erklärtes Spiel im Wirtshaus, am Watten-Tisch, zu verstehen ist. Erklärt wurde das nicht, doch gemach, es haben schon ganz andere versucht, den grimmig-humoresken Österreicher zu „erklären“. Richtige Autoren bleiben dem Leser ja stets ein Rätsel. Auch half das Lesen mit verteilten Rollen – anders als bei ihrer Lesaung von Dickens „Weihnachtsgeschichte“ im Dezember – hier kaum weiter, im Gegenteil. Die Zuhörer bekamen zwar hübsch serviert, wie man sich in einem präzisen Konstrukt aus Raum und Zeit mit Logik, Vernunft und Sprache selbst sein Grab schaufeln kann, aber heller wurde dieses Textgespenst dadurch auch nicht. „Watten“ war hier eher eine Demonstration, wie das geschriebene Wort zu blenden und zu täuschen versteht. Verwirrung, Wahnsinn, alles nur Wahnsinn!
Der Text, als Monolog oder Dialog lesbar, schildert einen namenlosen Herrn, der seit geraumer Zeit seine Teilnahme am kollektiven Watten im Wirtshaus verweigert, zuerst in einem Schloss, jetzt in einer Bruchbaracke lebt, anderthalbe Millionen an den Anonymus F. Und verschenkt und regelmäßig Besuch von einem „Fuhrmann“ bekommt, welcher ihn auffordert, doch endlich wieder zum Watten zu kommen. Sinnlose Dialoge, logische Beweisführungen und jede Menge Indizien werden nun aufgehäuft, um die Unmöglichkeit dieses Entschlusses zu begründen, wobei Dominik Stein den introvertierten Protagonisten mit Strenge zeigt, Timo Sturm ihm aber mit heiterem Ton ständig recht gibt, ihm sogar beim Argumentieren hilft. Wie das? Es ist leicht, aus einem verwirrenden Text ein szenisch-heiteres Abstrusum zu gestalten, aber Thomas Bernhard machte ja Ernst: Die Hauptfigur lebt in der Isolierung, halluziniert, sieht eine total zerstörte Welt, braucht größere Schnallen für seine Schuhe, schreibt Berge von Zetteln voll wie Doktor Marbuse, um sie irgendwann wieder zu vernichten – kurz, der Mann ist verrückt.
Aus dieser Lesart heraus hätte man sich Timo Sturm gut als behandelnden Arzt in einer geschlossenen Anstalt vorstellen können, und dieses ominöse „Watten“ wäre dann ein Synonym für ein gemeinsames Geheimnis, welches den Zuhörer in ein subversives Geistchaos hätte stürzen mögen.
So blieb die Premiere lediglich ein heiteres Spiel mit Wortdrehern und erheiternden Gesten, in der argumentativen Machart eine Kopie auf Dickens. Ein schwaches Konzept! Ab und zu muss man sich doch etwas Neues einfallen lassen. In jedem Fall gibt diese Prosa ein getreues Abbild der Bernhard“schen Denkart: Wer ist nun verrückt, der Herr, sein Gegenüber, der Leser? Hat sich der Papiermacher wirklich aufgehängt? Die Erzählung von seiner Beerdigung spricht eher dagegen. Fragen nach Sein oder Nichtsein. Ohne dies Geheimnis zu lüften, schließt der Autor mit einer gruseligen Ankündigung ab. Bald will sein Held auch die Baracke verlassen, gräbt man dann nach, so wird unter ihr viele „zertrümmerte Köpfe“ finden. Wie allegorisch! Gerold Paul
Gerold Paul
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