Kultur: Allround
Birgit Schaller von der Herkuleskeule im Obelisk
Stand:
Die sächsische Damenwelt war schon immer bekannt für ihren Charme und den ganz besonderen, den „südlichen“ sex appiel. Von Dresden her angereist, bestätigte die sinnen- und lebensfrohe Allround-Künstlerin Birgit Schaller von der „Herkuleskeule“ am Mittwoch diesen altsitzenden Eindruck rundum und perfekt. Mit dem „Letzten Schrei“, welcher erwartungsgemäß am Beginn des Programmes im Rahmen der Kabarettwoche zu hören war, zeigte sie, wie fließend heutzutage die Grenzen zwischen politischer Satire, Brettl und bester Unterhaltung sein können.
Obwohl Potsdams freundlichstes Kabarett nicht ganz ausverkauft war, hatten sich besonders richtige Männer vor den diversen Schreien dieser flotten Dame zu hüten, vor dem geheuchelten „J’e taime“ oder bei ihrem grandiosen Shopping-Gospel, denn all ihr Tun war auf typisch weibliche Art subversiv, also zersetzend. Weniger in Sachen Politik, obwohl sie in dem als Nummern-Sammelsurium getarnten Programm durchaus vorkam, sondern in der raffinierten Art, wie sie ihre Lieder, Conferencen und Satiren unter die Menge streute, wie sie vierchörig zu gemeinschaftlichem Orgasmus-Stöhnen animieren wollte, wie sie das Publikum im direkten Parkett-Kontakt zu fangen wusste: Eine Frau, die sich für eine Million nicht hingeben würde, um ehrbar zu bleiben, indes sich die Manager mit viel größeren Summen zu Huren machen? Na ja, so kann man das auch sehen, wenn „Lust statt Frust“ mit Texten von Wolfgang Schaller, Peter Ensikat, Rainer Otto und anderen im Untertitel steht, dazu eine Band aufspielt, die Begeisterungsstürme im jugendlichen Teil des Publikums auslöste.
Technisch und menschlich war das Solo wirklich perfekt, etwas mehr Kabarett wäre denkbar gewesen. Ausgebildet in Russisch, Flöte und Schauspiel, zeigte sie Lust auf Bühne, Spiel, Verkleidung, vornehmlich auf das Publikum, mit dem zu kirren ihr wohl ein besonderes vornehmes Vergnügen war. Was ihr Lust bereitete – man glaubt es ihr ja – sollte auch den anderen gefallen: Singen gegen den Frust, Essen und Leben. Ersterer galt den Ungerechtigkeiten dieser Welt, ihr ein „Klo“ und Bordell, dem Staat, der Politik im Allgemeinen.
Beim Singen verwandelte sie sich in eine dick gepolsterte Gospel-Matrone, in eine echte Operndiva, in eine Matroschka, die so lakonisch ihre Heimat (Originalsprache) besingt, in Vamp und alles, was ein Weib als solches sein will, um dann sehr stille Lieder im emotionalen Break auszuführen. Gewürzt war das mit Selbstbewusstsein und Bühnen-Souveränität, mit Seitenhieben gegen den Schnarcher im Bette „danach“, und in den Zugaben demonstrierte sie, wie man das leidige Ossi-Wessi-Thema ins Heutige wandelt: Fragte, wer von dort sei, ging hinunter und bat den Ärmsten schluchzend um Vergebung, weil „wir“ den „Brüdern im Westen“ die vielen Milliarden wegnähmen, „Vergebung, Vergebung!...“ Neben einem Jazztitel, bei dem Birgit Schaller die Solo-Flöte blies, spielten Pianist Thomas Wand, Charly Ludwig (E-Gitarre) und der Drummer Bernd Sikora nicht nur ihre fetzigen Rhythmen, sie traten auch als deppertes Bayern-Trio und in anderer Gestalt selbst in Aktion.Künstlerisch-literarischer Anspruch, dezente Aktualität, herkulisches Feuer und feminine Denkart mit einer gehörigen Portion Hedonismus – was hatte man nun gesehen, Kabarett-Satire, ein literarisches Programm, eine moderne Show? Ach, man hat Birgit Schaller gesehen, eine authentische Sächsin, die für Ihresgleichen sang: „Wior hooben Fieboorh!“Gerold Paul
Gerold Paul
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