
© Giancarlo Pradelli
Kultur: „Als Dirigent muss man einfach zuhören“
Der Italiener Francesco Angelico dirigiert am morgigen Samstag zum ersten Mal die Kammerakademie Potsdam
Stand:
Herr Angelico, was sieht ein Dirigent wie Sie eigentlich in einem Orchester?
Das Orchester ist mein Instrument. Und das Schöne und Besondere an diesem Instrument ist, dass es aus Leuten gemacht ist. Mein Instrument spricht mit mir und ich muss mit meinem Instrument sprechen. Dirigieren bedeutet für mich kommunizieren und gemeinsam Musik machen.
Und wenn Sie zum ersten Mal vor ein neues Orchester treten?
Wenn ich mit einem neuen Orchester spiele, muss ich zuerst hören, was es bietet und wie die Musiker auf meine Impulse reagieren. Dann versuchen wir gemeinsam meine musikalische Idee zu gestalten. Ideal wäre, wenn das Orchester mir alles gibt, was ich für meine Ideen brauche. Ich meine, die Idee ist zwar in meinem Kopf, aber jedes Orchester hat seine eigene Identität, seine eigene Art zu spielen. Als Dirigent muss man einfach zuhören und verstehen. Dann muss man versuchen, mit diesem Instrument die eigenen Vorstellungen umzusetzen.
Das klingt im ersten Moment ein wenig paradox. Gemeinsam kommunizieren und Musik machen und gleichzeitig die eigenen Vorstellungen umsetzen.
Es ist dasselbe wie mit einem normalen Instrument. Ich habe meine Art zu spielen, aber meine Art zu spielen, muss sich gemeinsam mit dem Instrument entwickeln. Manche Dirigenten vertreten die Meinung: Ich bin Dirigent! Ihr seid das Orchester! Ihr müsst spielen, wie ich das will!
Diese Konstellation wiederum klingt nachvollziehbar.
Ja, das ist die sichere Art, Musik zu machen, aber nicht ideal. Denn so entsteht eine Wand zwischen mir und dem Orchester. Aber das will ich nicht. Denn das Orchester besteht aus Musikern, guten Musikern, die das Stück manchmal besser kennen als ich. Mit einem Orchester kann einfach alles passieren. Man muss zuhören und dann mit ihm zusammenfinden.
Und wie haben Sie mit der Kammerakademie zusammengefunden, mit der Sie am morgigen Samstag im Nikolaisaal auftreten?
Ich habe sie einfach die Stücke, die auf dem Programm stehen, spielen lassen. Diesmal haben wir beispielsweise mit Mendelssohn-Bartholdys erstem Satz aus seiner ersten Sinfonie angefangen. Sie haben ihn einfach einmal durchgespielt. Das ist wie eine Begrüßung zwischen zwei Leuten, die sich das erste Mal begegnen. In diesem ersten Durchlauf habe ich die Zeit zu verstehen, wie die Musiker auf meine Impulse reagieren. Ich sehe, welche Leute wach sind und welche noch schlafen. Ich schaue, welche Abschnitte gut sitzen und wo sie ein bisschen Hilfe brauchen. Ich sammle erst einmal all diese Informationen und kann diese dann nach meiner Vorstellung umsetzen.
Sie müssen also immer das große Ganze, gleichzeitig aber auch die kleinsten Details im Blick haben?
Ja, unbedingt! Man muss die große Vision vor sich sehen. Man darf aber auch die kleinen Details nicht aus den Augen verlieren. Es ist vergleichbar mit dem Fliegen eines Flugzeuges. Auf der einen Seite hat man diese riesige Maschine, man darf aber auch die kleinen Lichter, die dort leuchten, nicht vergessen.
Sie haben es schon angesprochen, auf dem morgigen Programm steht auch Mendelssohn-Bartholdys erste Sinfonie. Das war Ihr Wunsch?
Ja, denn diese Sinfonie wird sehr selten gespielt. Ich finde, dass es ein wunderschönes Stück ist. Es passt auch gut zu diesem Orchester, das eigentlich ein Kammerorchester ist. Sie haben die richtige Vorstellung des Klanges. Mendelssohn-Bartholdy hat diese Sinfonie im Alter von 13 oder 14 Jahren geschrieben und es ist wirklich wunderbare Musik.
Wird das Stück nicht so häufig gespielt, weil er noch so jung war, als er es geschrieben hat?
Das kann ich nicht sagen. Dieses Stück ist ein Meisterwerk. Natürlich stecken darin auch ein paar Sachen, die nicht perfekt sind. Aber leider kommt es im Beruf des Dirigenten häufig zu Routine. Jeder Dirigent hat irgendwann sein Repertoire. Die wichtigen Stücke Mendelssohn-Bartholdys sind die dritte und die vierte Sinfonie und deswegen spielen sie nur diese. Das ganze Leben lang und sie meinen, das reicht. Das ist ein bisschen traurig. Und das will ich so nicht. Mein Repertoire muss immer lebendig sein. Es gibt so viele wunderschöne Meisterwerke, die wir nie spielen. Wir sind häufig einfach gewohnt, nach dem selben Konzept zu arbeiten und unser Ohr wird passiver. Bei einem neuen Stück höre ich genauer hin.
Darum auch das Konzert „Fachwerk“ der mittlerweile 80-jährigen Sofia Gubaidulina? Neben dem Alten das Neue?
Zu unserer deutschen Erstaufführung von Gubaidulinas „Fachwerk“ wollte ich ein altes Stück, das aber neu klingt, weil es fast nie gespielt wird. Darum Mendelssohn-Bartholdy. Auf „Fachwerk freue mich natürlich sehr, weil ich ursprünglich aus der zeitgenössischen Musik komme. Mein erstes Diplom bekam ich für Dirigieren zeitgenössischer Musik in Lugano.
Viele Dirigenten waren, bevor sie vor das Orchester traten, selbst Musiker und oft auch Teil eines Orchesters. Auch Sie sind diesen fast schon klassischen Weg gegangen.
Ja, ich bin Cellist. Aber eigentlich wollte ich schon immer Dirigent werden. Das war von klein auf mein Wunsch gewesen. Ich habe Musik gehört und wollte Teil dieser Welt sein. Dann habe ich angefangen Cello zu spielen, weil das ein wunderschönes Instrument ist. Ich habe selbst in einem Orchester gespielt, dabei aber immer die Dirigenten zugesehen, immer mit dem Ziel vor Augen, dass ich selber irgendwann die ganze Sinfonie spiele. Nicht nur meinen Teil am Cello.
Sie haben mittlerweile Preise gewonnen, in diesem Jahr sogar den Deutschen Dirigentenpreis. Das zeigt, dass Sie zu Recht mit hartnäckiger Konsequenz an der Umsetzung Ihres Wunsches gearbeitet haben.
Der Deutsche Dirigentenpreis ist hier in Deutschland ein sehr wichtiger Preis. Er ist die letzte Stufe, auf der man vom Deutschen Musikrat ausgezeichnet wird. Hier eröffnet er mir sehr viele Möglichkeiten. Aber ich bin langsam in der Lage, auch häufiger in anderen Ländern spielen zu dürfen. Mit einem Orchester in Polen habe ich gespielt, in Österreich und in der Schweiz.
Als Dirigent sind sie viel unterwegs, treffen regelmäßig auf neue Orchester und haben oft nur kurze Probezeiten. Das klingt nicht gerade nach Idealbedingungen.
Ich leide häufiger unter zu wenig Zeit. Man hat meistens so wenig Zeit, weil immer die selben Stücke gespielt werden. Das Orchester kennt das Stück, sie haben es schon so oft gespielt und brauchen deswegen keine dreistündige Probe mehr. Aber wenn man etwas Neues erreichen will, auch beispielsweise in einer Beethoven-Sinfonie, braucht man diese Zeit. Leider kommt diese meistens zu kurz. Deswegen spiele ich lieber neue Stücke, damit ich nicht diesen psychischen Widerstand der Musiker habe. Ich brauche wirklich Zeit, die Musik braucht ihre Zeit.
Da scheint eine feste Zusammenarbeit mit einem Orchester über Jahre die einzige Lösung zu sein. Haben Sie schon musikalische Vorstellungen, was eine solche Zukunft betrifft? Welche Sinfonien, welche Komponisten Sie gern einspielen würden?
Da bin ich sehr offen. Ich liebe die Musik von Monteverdi bis Luigi Nono. Ich habe natürlich meine Lieblingskomponisten. Aber für mich ist es wichtig, dass ein Orchester und ein Dirigent nicht nur auf ein Repertoire spezialisiert sind. Ich muss eine gewisse Flexibilität haben, damit ich auch einen guten Mozart spielen kann. Das ist natürlich schwer, aber ich glaube, man braucht das, damit man immer lebendig bleibt.
Diese Offenheit entspricht ja auch Ihrem Verständnis vom Verhältnis des Dirigenten zum Orchester. Die Wahrnehmung als gleichgestellte Partner, die miteinander kommunizieren.
Ja, genau. Aber das macht es für mich auch schwieriger. Ich bin immer unterwegs, spiele ständig mit neuen Orchestern zusammen. Man muss sich immer neu kennenlernen. Manche Orchester reagieren sofort, einige nicht, manche wollen auch nicht reagieren. Aber das macht das Dirigieren natürlich auch sehr interessant und sehr schön. Man trifft durch die Musik immer neue Leute.
Zu Ihrem Verständis von einem guten Dirigenten gehört es aber auch, ein Orchester gelegentlich allein agieren zu lassen. Das Konzert im Nikolaisaal eröffnet die Kammerakademie mit dem sechsten Brandenburgischen Konzert von Bach. Ohne Sie.
Diese Musik war ursprünglich ohne Dirigent gedacht. Auch Mozart war eigentlich ohne Dirigent gedacht. Deswegen bin ich auch nicht so begeistert davon, Mozart zu dirigieren, obwohl ich seine Musik sehr liebe. Opern ja, aber bei den Sinfonien finde ich es ein wenig schwierig. Aber Bach braucht keinen Dirigenten. Und die Kammerakademie kann Bach wunderschön ohne Dirigent spielen. Ich trete erst mit Mendelssohn-Bartholdy auf. Aber selbst da muss ich aufpassen, denn manchmal stört ein Dirigent auch. Manchmal gebe ich dem Orchester keine richtigen Informationen und wenn ich das tue, störe ich sie nur. Manchmal sagen auch meine Bewegungen nichts aus. Das Ideal wäre, wenn jede meiner Bewegung etwas aussagt, aber ich weiß nicht, ob ich das jemals schaffe. Ich muss eine gewisse Art zu dirigieren finden, damit das Orchester frei, aber trotzdem auch mit mir spielt.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Francesco Angelico zusammen mit der Kammerakademie Potsdam am morgigen Samstag, 19.30 Uhr, im Nikolaisaal in der Wilhlem-Staab-Straße 10/11. Der Eintritt kostet zwischen 8 und 26 Euro
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