Kultur: Als es „Kriegs-Schloss-Kekse“ gab
Am morgigen Freitag eröffnet im Potsdam Museum die Sonderausstellung zum Ersten Weltkrieg
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Die Geschichte des Ersten Weltkriegs ist nicht nur eine Geschichte vom Leben und Sterben der verschiedenen Uniformen, von Ränken und falscher Diplomatie, von Bündnissen und dem politischem Versagen nah verwandter Throne. Jeder Krieg hat auch eine Geschichte des Hinterlandes, sozusagen seine zivile Seite. Wie diese hier in Potsdam ausgesehen hat, schildert die eindrucksvolle Sonderausstellung im Potsdam Museum, die am morgigen Freitag eröffnet wird. Mit dem Titel „Zu Hause im Krieg – im Krieg zu Hause“ bringt sie die europäischen Fronten gleichsam ante portas, das verlassene Zuhause dorthin, wo millionenfach gehauen und geschlachtet wurde. Bevor die Soldaten zurückkehrten, wenn überhaupt, kamen ihre Feldpostbriefe, Fotos, Geschenke und Erinnerungsstücke. Sechzehn Millionen Briefe und Karten gingen damals täglich hin und her. Man staunt nicht schlecht, wie viel davon sich erhalten hat, und erhalten wurde.
Jutta Götzmann, Projektleiterin und Direktorin des Museums und des Ausstellungsteams um Judith Granzow und Wenke Nitz ging es weniger um die Darstellung von Ursachen und Abläufen des ersten „Großen Kriegs der weißen Männer“, wie Arnold Zweig diese Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts nannte. Ihr spezifischer Ansatz liegt in der Lokalgeschichte, denn im Neuen Palais wurde die Urkunde über den Kriegszustand unterzeichnet, etliche Potsdamer Regimente kämpften an allen Fronten, hier wurde ausgebildet, nachgeschoben und wundversorgt. Potsdam galt als kriegswichtige Drehscheibe für diese „eiserne Zeit“, ein exemplarischer Mittler zwischen der Front und daheim. Damit machen die Aussteller unmissverständlich klar, dass jeder Krieg nicht nur politische, historische oder militärische Aspekte hat, Krieg ist immer auch Kultur im Menschendasein, und mitnichten ein geringer.
Die Ausstellung im Hochparterre führt den Besucher in vier Räume. Der erste zeigt die „Heimatfront Potsdam“. Großformatige Fotos aus dieser Zeit an den Wänden im schummerigen Licht, Begleittexte, Parolen wie „Ich kenne keine Parteien...“ oder „Gebt! Opfert! Helft!“ von Propaganda-Bildpostkarten. Kriegsanleihen, eine verzierte Granate mit Aufschrift „Ypern“, Edelkitsch fürs zivile Kriegsgemüt in Vitrinen, Lebensmittelkarten. In Babelsberg grub man den Einheimischen einen Musterschützengraben, um ihnen die Front näherzubringen, ein hiesiger Bäcker buk, noch vor dem Kohlrübenwinter, „Kriegs-Schloss-Kekse“, wovon eine Original-Verpackung zu sehen ist. Eine Serie von Künstlerflugblättern, mit Max Liebermanns kernigem Spruch „Jetzt wollen wir sie dreschen!“. Auch Barlach und Slevogt waren dafür, und waren ohne Zwang als Künstler dabei.
Raum zwei im Museumshaus am Alten Markt ist das alte Entree des „Marchwitza“, ein Rundraum mit der alten bunten und der seit 1907 steingrauen Uniform. Karten der Garnisonen und Lazarette in Potsdam, ein Beistelltisch für Operationen, „Stumme Schwester“ genannt. Dazu ein Foto von der Lazarett-Schwester Clara Wörner vom Vaterländischen Frauenverein des Roten Kreuzes.
Wieder ein Aspekt „Heimat“ also. Der Folgeraum zeigt bestens erhaltene Militaria, darunter deutsche und französische Stahlhelme, Waffen und Ausrüstungsgegenstände wie Feldmütze und Brustbeutel für den „industrialisierten Massenkrieg“, alles benutzt und gelitten. Kriegsbilder und Kriegsmaler wie der Potsdamer Walter Bullert und Otto Heinrich. Überhaupt ist man stolz darauf, diesen und jenen Potsdamer in seinen persönlichen Zeugnissen präsentieren zu können. Das trifft auch auf den Schriftsteller Edlef Köppen und den Maler Carl Kayser-Eichberg im letzten Ausstellungsraum zu. Hier findet man die Ideen, wie man des Krieges und seiner Opfer gedenken solle. Geplant war ein Ehrenhain auf der heutigen Freundschaftsinsel, aber das scheiterte am Geld und am Widerstand der Veteranen, die sich hier soeben ihr Kleingarten-Refugium aufgebaut hatten. So wurden aus einem zentralen Gedenkort dann dreizehn Einzeldenkmäler überall in der Stadt. In einer frisch ausgerufenen Republik war manches anders, als noch unterm Kaiser.
Eine so detailfreudige wie menschennahe Ausstellung, zu der auch ein opulentes Begleitprogramm mit Konzerten, Vorträgen und Lesungen stattfindet, kann mit ihren klugen Konzepten nur beeindrucken. Wer hätte je das Original einer russischen Kriegskasse oder ein Merkbuch für den Gaskrieg gesehen oder von Tagebüchern gehört, die in den letzten Hungerjahren akribisch das tägliche Essen auflisten. Das ist Alltagskultur, die zivile Seite vom Krieg 1914-1918, wie sie nur selten zu sehen ist.
Die Ausstellung „Zu Hause im Krieg – Im Krieg zu Hause. Potsdam und der Erste Weltkrieg“ ist bis zum 17. August im Potsdam Museum. Am Alten Markt, zu sehen
Gerold Paul
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