Kultur: Als Mattok verschwand
Die Potsdamer Schriftstellerin Julia Schoch las in der Salon-Galerie Kalliope
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Die Potsdamer Schriftstellerin Julia Schoch las in der Salon-Galerie Kalliope Der wortkarge, in einsamer Exzentrik gefangene Mattok, ist kein Unbekannter. Auf der letztjährigen Literaturnacht war bereits von ihm die Rede: Von Mattok, der selber nicht reden will und seine Erstarrung so weit treibt, dass er von innen her zu vereisen droht. Man konnte spüren, dass Literatur qua Sprache eine körperliche Erfahrung sein kann. Die stilsichere Erzählweise der Schriftstellerin Julia Schoch, die Mattok erfand, schnitt die Kälte die Mattok einholt, den Zuhörenden in den Leib. Wenige Monate später erschien „Verabredungen mit Mattok“, der erste, hoch gelobte Roman der knapp 30jährigen Autorin, der von Mattok erzählt, als dieser Anfang 30 ist. In der Galerie Kalliope war am Mittwochabend von dem jungen Mattok zu hören. Julia Schoch las ihre Erzählung „Mit Mattok im Mais“ im Rahmen eines Salonabends, in dem zum Ausstellungsraum umfunktionierten Wintergarten von Barbara Wiesener. Die Wiederbegegnung mit Mattok ist der Bericht eines Wiedersehens. Der zaghaften Annäherung zwischen der Icherzählerin und Mattok, folgt sein Verschwinden. Als er nach Wochen wieder auftaucht, trägt Mattok ein fremdes Gesicht, mit einem schiefen Lachen. Mattok hatte sein Verschwinden angekündigt, war in ein Flugzeug gestiegen, das entführt wurde, jedoch nicht weit kam. Amüsiert über diese Tatsache, lächelt Mattok, als das Flugzeug gestürmt wird. Die Fahnder der Entführer, „haben Tage gebraucht, um ihm das Lächeln aus dem Gesicht zu treiben“. Zurück im „leeren stummen Grenzgebiet“, in dem sich Mattok und die Icherzählerin wieder zu treffen beginnen, ist „nicht zu überhören, dass Mattok schwieg“. Das Ritual der Begegnungen wird von Mattok geändert, statt zum Waldsee wie früher, stakt er durch das rauhe, mannshohe Maisfeld zur Müllhalde, um sich mit unbekanntem Interesse den Trümmern des Alltags zu widmen. Als er zu erzählen beginnt, kommuniziert er nicht, sondern redet zerhackt und leise, bleibt unnahbar. Selbst als die Erzählerin Gegenstände nach ihm wirft, regt er sich nicht, nur sein Gesicht lässt sich ganz leicht zerschneiden. Das Überraschende an den Begegnungen mit Mattok ist die Wirksamkeit der literarischen Metaphern. Dabei kommt Julia Schoch gänzlich ohne Larmoyanz und Zynismus aus. Sie vertraut der Sprache als Mittel, um von der persönlichkeitsdeformierenden Sprachlosigkeit infolge des Verlusts von Idealen am Ende der DDR zu erzählen. Erst vor kurzem, in der Oktoberausgabe der „Literaturen“, stellte die Autorin in einem „Manifest“ ihre Position zur Frage dar, was Literatur sei, mit welchem Anspruch sie auftreten solle und was sie bewirken könne. Gegen eine Haltung, die Literatur als intentionslose Beschreibung der Welt auffasse und deren Realismusanspruch sich auf bloßen Individualismus zurückziehe, will Julia Schoch das Schreiben als eine mögliche Gegenwehr gegen der „Gegenwarts-Wirklichkeit“ verstanden wissen. Wie sehr sie diesem eigenen hohen Anspruch gerecht wird, lässt sich in der Lesebekanntschaft mit Mattok nachvollziehen. Lene Zade Die Erzählung „Mit Mattok im Mais“ erschien in der Anthologie "Sprung ins kalte Wasser" bei Hanser 2004.
Lene Zade
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