Kultur: Als Moses nach Sanssouci kam ...
„Lindstedter Begegnungen“ der Urania Potsdam auf den Spuren der Familie Mendelssohn
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Der jüngst erschienene Stammbaum der Mendelssohns, von denen ein Zweig später den Namen Bartholdy hinzufügte, hat den Umfang eines dicken Buches. Auch in Potsdam hinterließ die verzweigte Familie, die erfolgreiche Bankiers, Künstler und Wissenschaftler hervorbrachte, ihre Spuren. An der „Straße der Bänker und Fabrikanten“, der Bertinistraße, ließ sich 1906 Otto Mendelssohn Bartholdy ein stattliches Landhaus errichten. 1907 wurde er von Kaiser Wilhelm II. für seine Verdienste geadelt. In den letzen Jahren wurde die zu DDR-Zeiten als Studentenwohnheim genutzte Villa Mendelssohn saniert und wird heute von einem Ururenkel des Bauherren bewohnt.
Über den Lebensstil der großbürgerlichen Familie jüdischer Herkunft sprach in den „Lindstedter Begegnungen“ der Urania, Dr. Ernst Siebel, Vorstandsmitglied der Mendelssohn-Gesellschaft. Begonnen hatte der Aufstieg mit Moses Mendelssohn (1729-1786). Er lieferte Seiden für die Ausstattung der Neuen Kammern und des Neuen Palais in Sanssouci. In die Geschichte eingegangen ist er aber als einer der bedeutendsten Philosophen seiner Zeit. Friedrich der Große stellte Moses 1763 einen persönlichen Schutzbrief aus, der seinen Verbleib in Preußen sicherte. 1771 ließ er ihn nach Potsdam rufen. Um diesen Besuch ranken sich einige Legenden, Den von Moses angestrebten Schutzbrief für die gesamte Familie Mendelssohn, der ausschlaggebend für eine Verbreiterung der Geschäftstätigkeit war, verweigerte er bis zu seinem Tode. Er wurde erst von seinem Nachfolger Friedrich Wilhelm II. 1787 ausgestellt.
Nun durften die Mendelssohns auch Immobilien erwerben. Sie kauften das Stammhaus der Bank in der Berliner Jägerstraße und die Nachbargebäude hinzu. Dort richtete Henriette Mendelssohn als erste einen der später in der großbürgerlichen Gesellschaft zur Mode gewordenen „Salons“ ein. Mehrere Mendelssohns besaßen hohes musikalisches Talent. Felix Mendelssohn Bartholdy stieg zu einem berühmten Komponisten auf. König Friedrich Wilhelm IV schätzte ihn außerordentlich und ließ seine Schauspielmusik zu Shakespeares „Sommernachtstraum“ 1843 im Schlosstheater des Neuen Palais uraufführen. Den Komponisten für seinen Hof zu gewinnen, gelang ihm allerdings nicht. Die Klage des umworbenen Musikers, während der Aufführung hätte in der königlichen Loge das Teegeschirr geklappert, mag dafür aber kaum ausschlaggebend gewesen sein.
Die Mendelssohns kamen durch ihre Privatbank, zu deren Kunden auch das russische Zarenhaus zählte, zu enormem Reichtum. Ernst von Mendelssohn Bartholdy wurde von den Berlinern als „reichster Mann nach dem Kaiser“ bezeichnet. Dies hatte der Familie bereits 1825 ermöglicht, in der Leipziger Straße ein Stadtpalais zu errichten.
Damit leitete sie die Besiedlung des damals weit vom Zentrum gelegenen Berliner Westens durch das Großbürgertum ein. Als die Mendelssohns in Charlottenburg die Villa „Sorgenfrei“ bauten und im Rheinland ein Weingut kauften, wurden sie Vorreiter auch für den Rückzug aus dem hektischen Geschäftsleben der Großstadt in die Idylle der Landhäuser. Stets verbanden sie diese Aktivitäten mit sozialen Engagement, stifteten ein Krankenhaus, ein Altenheim und in Börnicke bei Bernau, wo ihr Landhausbau zunächst auf Vorbehalte stieß, ein Kinderheim. Politische Ämter übernahmen sie dagegen bis auf Ausnahmefälle nicht.
Das Naziregime zerschlug das Imperium der Mendelssohns, die längst zum christlichen Glauben übergetreten waren. 1938 wurde die Privatbank liquidiert und die Familie enteignet. Ihr Leben konnten die Mendelssohns jedoch retten.
Wie Ernst Siebel angab, ist nach bisherigen Erkenntnissen kein Mitglied der Familie dem Holocaust zum Opfer gefallen. Er führt dies auch auf das hohe internationale Ansehen der Mendelssohns zurück, das vor allem in ihren kulturellen und wissenschaftlichen Leistungen begründet war. Auch in Potsdam, erklärte Siebel, leben heute mehrere Angehörige der Familie. Ihr prominentester Vertreter ist der Leiter des Moses-Mendelssohn-Zentrums, Professor Julius H. Schoeps. Er kann seine Herkunft bis auf den berühmten Philosophen des 18. Jahrhunderts zurückführen.
Erhart Hohenstein
Erhart Hohenstein
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