zum Hauptinhalt

Kultur: Alte Lieder in neuem Gewand

Die Band Erdmöbel begeisterte in der Schinkelhalle mit Popklassikern

Stand:

Mit ihren Anzügen, Krawatten und komischen Brillen sahen Erdmöbel am Montagabend in der Schinkelhalle aus, als wäre die legendäre Heider-Combo, die vor etwa zwanzig Jahren zur Inneneinrichtung des berühmten Potsdamer Cafes gehörte, einem Jungbrunnen entsprungen. Die fünf Jungs da auf der Bühne kommen jedoch aus Köln. Nur ihr Bandname ist wirklich eine Reliquie aus DDR-Zeiten. Damals wurden Särge so genannt. Mit ihrem neuen Album haben sich Erdmöbel auf Auferstehungen musikalischer Art spezialisiert. Zwölf Nr.1-Hits der letzten vierzig Jahre hat Markus Berges, Sänger und Texter der Band, ins Deutsche übertragen.

Das Potsdamer Publikum zögerte. Gleich das erste Lied bestätigt dann auch die schlimmsten Befürchtungen. „What“s new Pussycat“ klingt übersetzt ins Deutsche nur nach eins: nach Altherrenphantasie. Doch alles, was danach kam, grenzte an Offenbarungen. „Wäre Gott einer wie wir, eingeschlafen mit “nem Bier, nur ein Fremder um halb vier in der letzten Straßenbahn, der versucht, nach Haus zu fahren...“: Joan Osbornes kitschiges „One of use“ erhält religionsphilosophische Dimensionen mit häretischem Anstrich. Ganz anders erwischt es die Vengaboys, Ibiza-Techno wird zu dem, was er wohl schon immer war: Sportgymnastik.

Erdmöbel wahren eine ironisch liebevolle Distanz zu dem Liedgut, das sie sich aneignen. Frappierend macht die fröhliche Posaune im Intro von „Smells like Teen Spirit“ und die völlig entschleunigte, aggressionslose Interpretation des Nirvana-Klassikers gerade durch die musikalische Diskrepanz zum Inhalt darauf aufmerksam, dass Kurt Cobain seinen Abschiedsbrief schon drei Jahre vor seinem Selbstmord geschrieben hat.

Der größte Spagat zwischen Kunst und Kitsch gelingt Erdmöbel mit ihrer Version der Schmonzette „A Whiter Shade of Pale“. Kaum einer der Menschen, die noch das Original kennen, wird wohl je auf den Text geachtet haben. Zu sehr war das Lied in den 70ern der Klassiker der beliebten Engtanzrunden. Dafür kamen sogar die Jungs auf die Tanzfläche: „Wir tanzten den Fandango wie sich die Bären drehen. Schon davon war mir schwindlig, doch sie wollte Sterne sehen. Summte Risse in die Wände, bis die Decke sich empfahl. Der Ober brachte ständig Geister, auf Tablett und auf Signal. Nicht dass ich schon verloren war. Nur war sie doppelt schön. Und darum warn wir später, als der Morgen auf einmal, uns mit seinem Grauen störte, etwas fahler als nur fahl.“ Lässt sich poetischer der Alkoholexzess eines Noch-nicht-Liebespaares beschreiben?

Im zweiten Teil des Konzerts ließen Erdmöbel alle Distanz fahren und spielten fast nur eigene Lieder, die Musik perlte und flutete wie in einem Guss von der Bühne. Der Altherrengeruch verflog restlos. Erst kurz vor Mitternacht, nach etlichen Zugaben, wurden die Mikros ausgeschaltet. Lene Zade

Lene Zade

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })