Von Josefine Schummeck: Am Anfang ist es wie mit gutem Käse
Die jungen Musiker von 98 Strings haben für sich den Jazz entdeckt - Am Freitag Auftritt in der Waschaus Arena
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Nachts um zwei, eine schummrig beleuchtete Bühne in einem verrauchten Klub. Der Zigarettenqualm legt sich wie Nebel über das Bühnenbild, auf dem sich die schwarz gekleideten Musiker vor ihren Instrumenten nur schemenhaft abzeichnen. Das Saxophon glitzert im Scheinwerferlicht, das Piano ist im Dunkeln kaum zu erkennen. Als die Musiker zunächst zaghaft, dann immer energischer spielen, übertragen sich die nervösen Rhythmen auf die Gäste. Zuckende Beine, wackelnde Köpfe, schnipsende Finger. So ist klassischer Jazz. Verraucht, wild und vor allem mitreißend.
Jazz ist bekanntlich ein Exot. Vor allem junge Leute haben weniger Zugang zu der Musik, die ihren Höhepunkt in den 40er bis 60er Jahren hatte. Umso erstaunlicher, dass sich drei junge Potsdamer dieser Musik verschrieben haben. 98 Strings nennen sich Richard Oeckel am Piano, Oliver Fröhlich an der Gitarre, Gerhard Haß am Schlagzeug und Marcel Siegel am Kontrabass. Der Name 98 Strings ergibt sich aus der Saitenanzahl ihrer Instrumente: vier Bass-, sechs Gitarren-, und 88 Pianosaiten.
Leider gibt es in Potsdam keine ausgeprägte Jazzkultur, und abseits der Jazzhauptstadt Europas, Berlin, sei das Interesse an Jazz geringer, sagt Richard Oeckel. Jazz ist nun mal nicht immer massentauglich, daher bleibt ihm die Position des musikalischen Außenseiters zugeschrieben. Immer noch herrschen die gängigen Klischees vor: Jazz sei doch keine richtige Musik und überhaupt nur was für Intellektuelle. Aber man merke einen Trend, versichert Richard Oeckel. „Die Leute sind gesättigt von Elektro- und Chartsmusik. Viele wollen wieder Abwechslung hören und lassen sich mehr auf alternative Stile wie Jazz ein.“ Das Publikum sei daher auch sehr gemischt auf Konzerten. Obwohl Richard mit Herz und Seele Jazz spielt, kann er nachvollziehen, dass sich viele Leute nicht an die von Improvisation geprägte Musik herantrauen. „Das ist wie mit einem guten Käse. Am Anfang schmeckt er etwas zu intensiv und man probiert nur ein kleines Stück. Doch wenn man ihn öfter isst, gefällt einem der Geschmack, man möchte mehr und kann sich gar nicht mehr vorstellen, dass man ihn mal nicht mochte. So ist das mit Jazz.“
Und um bei dem Vergleich zu bleiben: So unzählig die Käsesorten, ebenso zahllos die Arten von Jazz. Von der Urform Blues zu massentauglichen Formen wie Groove und Swing, bis hin zum experimentellen Bebop. Das musikalische Repertoire von 98 Strings, die am Freitag in der Waschhaus Arena zu erleben sind, ist ebenso umfangreich, sie können verschiedene Stile spielen, vom ruhigen Blues zu temperamentvollem Samba und dem tanzbaren Jazzwalzer. Das hängt ganz davon ab, wo sie spielen. „Am liebsten mag ich aber Auftritte in dreckigen Bars, wo getrunken und geraucht wird. Und es muss laut sein! Dann kann man die Leute richtig mitreißen“, so Richard Oeckel.
„Aber wir können eigentlich überall und alles spielen“, sagt Richard Oeckel. Sie hätten bereits auf Hochzeiten, Geburtstagen und in kleineren Klubs gespielt; regelmäßig sieht man sie im Hafthorn in der Friedrich-Ebert-Straße. Außerdem sind sie jedes Jahr bei der Erlebnisnacht im Juli dabei. Und auf diesem Stadtfest hatten sie 2007 ihren ersten Auftritt. Seitdem spielen sie zusammen als Band.
Gerhard, Marcel und Richard sind der harte Kern der Band. Gelegentlich gesellen sich weitere Musiker und Sänger dazu, je nach Auftritt und Auftrag. Gerhard und Marcel studieren Musik, Richard hat es noch vor. Seit vier Jahren treffen sie sich für Auftritte und zu Proben. Ihre Auftritte organisieren sich meist über Mundpropaganda. Oft schon wurden sie auf Hochzeiten angesprochen, doch auf dem nächsten Geburtstag zu spielen. Oder sie werden klassisch gebucht. Auf den Konzerten spielen 98 Strings dann Klassiker, wie „My Way“ von Frank Sinatra, oder eigene Stücke. Im Februar wird die Band einige Stücke im Studio aufnehmen, um sich besser vermarkten zu können und mehr Konzerte zu geben.
Das Gerüst eines jeden Jazzkonzerts sind die sogenannten Standards, sagt Oeckel. Themen bekannter oder weniger bekannter Jazzkünstler, die in einer umfangreichen Sammlung, dem „Real-Book“, mit Noten und Akkorden aufgelistet sind. Jazzmusiker dienen diese Standards als Grundlage eigener Interpretation. Denn darum geht es im Jazz: Das vorgegebene Thema modellieren, uminterpretieren, weiterführen und mit dem Solo eine eigene Note verpassen. Die Standards sind dabei nur die Hülle, die eigentliche Essenz kommt von den Soli. Durch das Herzblut, das ein Musiker in sein Solo steckt, wird der Standard neu geschrieben, ohne das Grundthema zu verändern. Das kann aber auch mal schief gehen und ist auch schon 98 Strings geschehen.
Bei einem Konzert im Nikolaisaal zu einer Zeugnisausgabe mit 1200 Gästen sollten sie spielen. Unter den Stücken war ein Lied, das sie noch nicht zusammen geprobt hatten. Während des Auftritts dann: Wirre Akkorde, verschobene Töne, misslungene Harmonien. Aber sie nahmen es mit Humor und spielten einfach weiter. Denn für das ungeübte Ohr klingt Jazz ja oft wirr. Das liegt daran, dass viele Melodien für das Ohr ungewohnt sind. Nur die geübten Hörer erkennen die feinen rhythmischen Details und Ausarbeitungen einzelner Töne. 98 Strings versichern, dass, wenn man Jazz öfter hört, die scheinbar zusammenhangslosen Tonfolgen eine Struktur ergeben. Als Jazzneuling solle man allerdings nicht gleich mit dem Bebop anfangen, der verschrecke durch seine wilde, rasante und experimentelle Art, so Oeckel. Blues, Groove und Swing seien da schon geeigneter für den Einstieg. Und vielleicht zuckt dann auch das Bein oder man schnipst mit den Fingern, wenn 98 Strings mit Klavier, Bass und Saxophon die verschlungenen Jazzpfade der Improvisation erkunden.
98 Strings am kommenden Freitag, 11. März, ab 17.30 Uhr beim „Dorschubs in Potsdorf“ in der Waschhaus Arena in der Schiffbauergasse
Josefine Schummeck
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