Von Lore Bardens: Am Ende pfeift der Wind
Oxymoron mit „I wanna die for you“ bei Tanztagen
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Da stehen sie auf der Bühne, die Bank und die beiden Stühle mit den steifen Lehnen. Sie warten darauf, dass sich das angekündigte Liebesdrama „I wanna die for you“ abspielt. So wird gleich klar, dass hier nicht nur getanzt, sondern auch beobachtet wird. Simple Metapher? Was aber bedeutet die Ananas, die an der Rampe liegt und später von Moses Leo mit einem Hackebeilchen geteilt und Zuschauern gegeben wird? Zumindest erhielt dieser Erzählstrang einige Zuschauerlacher.
Zunächst aber kommen die Tänzer nach und nach auf die Bühne, sie stehen in einer Reihe, sie lassen den Kopf sinken, sie verschränken die Arme vor oder hinter dem Körper, sie machen kleine gezirkelte Hackbewegungen mit Händen und Armen. Die vier Männer tragen grünbeigefarbene Hosen und ein weißes Oberteil, die beiden Frauen sind in mädchenhafte Hängerchen gehüllt, unter denen die weißen Leggings rausgucken. Eine Frau (Agnes Wradzilo) rennt weg, während der abgehackte Sound laut in den Zuschauerraum quillt und sich auf der Gazebildfläche im Hintergrund eine Hafenszene abzeichnet. Das Wasser des Meeres rauscht. Vielleicht Venedig? Freundlicher, klassischer wird die Musik (Christoph Kozik), die blonde Frau (Elisabeth Kindler) beginnt mit Verzweiflungsgesten der Liebe, während aus des Schauspielers Mund Shakespeare-Sentenzen fliehen: „Sie ist reich an Schönheit; arm allein. Wenn sie stirbt, ihr Reichtum hin wird sein“, gibt Moses Leo den Romeo. Schon sind wir in der bekanntesten aller Liebestragödien, wie der Titel des neuesten Oxymoron-Stückes ja auch deutlich macht: „Ich will für dich sterben“, lautet er, und dazu wird eine Stunde lang in ausgeklügelter Choreographie getanzt. Allerdings zeigt sich, dass die moderne Version der Potsdamer Gruppe eher auf den Egoismus der Liebenden setzt, die sich retten, indem sie ihre Partner einfach von sich werfen. Schade nur, dass von Beginn an klar ist, dass die Paare, trotz ihrer kurzzeitigen scheinbaren Verliebtheit sich offensichtlich nur dazu treffen, um schnell wieder auseinanderzugehen. Da wird getreten und von hinten ein Bein gestellt, da wird nach vorne gelächelt und sich vermeintlich hingegeben. Doch sind wir alle viel zu postmodern, um einen ungebrochenen Shakespeare mit schwärmerischer Liebe erleben zu dürfen, die Stühle und die Bank verdeutlichen dies. Immer wieder sitzen Mitglieder des Ensembles auf ihren Beobachterposten. Trotz all der beachtlichen Körperbeherrschung und schönen, schnellen Paar- und Soloeinlagen (Dennis Dietrich und U-Gin-Boateng) bleibt der Zuschauer ein bisschen außen vor.
Grandios vor allem Christian „Mio“ Loclair, der mit seinem Körper umgeht, als sei der aus Gummi, aus dem runden, harmonischen Schlängeln beispielsweise eines Gartenschlauchs aber streng geometrisch-rechteckige Muster zaubert. Das allein macht den Besuch des Stückes wert, das in seiner Choreographie (Regie: Anja Kozik) nicht besonders auf Entwicklung setzt: Wir wissen von Beginn an, dass die Liebenden in ihrer Einsamkeit verloren sind, es nur einen kurzen glücklichen Moment gibt und dass wir Einzelwesen bleiben. Trotz hingehaltener Frauenhälse und sehnsuchtsvollem Blick ist eine Erfüllung nur für einen kurzen Moment möglich. „Kein Schmerz hält an/Jedes neue Gift macht, dass dein altes nicht mehr trifft“ lautet die Shakespeare-Tröstung zu dieser schrecklichen Wahrheit. Das Bild des Videos (Oscar Loeser/Valerie Schlee) ändert sich, aus dem Hafen entsteht die Arena von Verona und daraus die steinerne Brücke. Dann und wann erscheinen Körper: colabraun der eine, neongrün der andere – und am Ende pfeift der Wind einfach die Bühne leer.
Lore Bardens
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