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Kultur: Am Glück vorbei

Clemens Meyer bei der Geburtstags-Lesereihe in der Buchhandlung Wist

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Beim Besuch eines jungen Schriftstellers mit solchem Profil ist einiges zu erwarten. Seine Anerkennung in sämtlichen großen Feuilletons ist unbestritten. Dass aber die Lachmuskeln dermaßen beansprucht werden, kommt überraschend.

Das Enfant Terrible der neueren deutschen Literatur, Clemens Meyer, gab am vergangenen Donnerstagabend den Auftakt zu zwanzig Gastlesungen in der Buchhandlung Wist, die während der nächsten Wochen zum zwanzigsten Geburtstag stattfinden. Freunde, Förderer und Autoren werden beim Buchhändler Carsten Wist in einer Lesereihe zu hören sein, angefangen bei dem in Leipzig lebenden Clemens Meyer.

Keine Frage, der Raum über der Buchhandlung in der Brandenburger Straße ist eigentlich viel zu klein für die, die den Gewinner des Preises der Leipziger Buchmesse 2008 einmal live erleben wollten. Selbst Regisseur Andreas Dresen, der sich schon vor der Veranstaltung angeregt mit dem Schriftsteller unterhielt, musste mit einem Stehplatz in den hintersten Reihen vorlieb nehmen.

Carsten Wist erinnerte in seiner kleinen Eröffnungsrede noch einmal an den Moment, in dem der Preisträger Clemens Meyer in Leipzig verkündet wurde, und dieser inmitten des Publikums plötzlich euphorisch aufsprang, die Bierflasche stolz in die Luft erhoben.

Am Donnerstagabend steht ein Glas Wasser vor dem Autoren und während Carsten Wist das Publikum mit einigen biografischen Eckdaten des jungen Mannes versorgt, sitzt dieser hochkonzentriert und scheinbar etwas verschlossen vor seinem neuesten Buch „Gewalten – Ein Tagebuch“. Immer wieder blättert er vor und zurück.

Als dann schließlich das Wort an ihn gerichtet wird, straft er den ersten Eindruck sofort Lügen. Auf sein rebellisches Wesen und seine Aufmüpfigkeit angesprochen, kokettiert er mit seiner Herkunft aus einer Familie mit künstlerischem Hintergrund und der Lektüre von Balzac und Thomas Mann in bereits jungen Jahren.

Vielleicht habe es einen kurzen Aufenthalt im Jugendarrest gegeben, aber damit müsse man nicht prahlen, da gäbe es ganz andere Kaliber. Und überhaupt, er sei ein kleines Licht und diese ollen Kamellen wolle er gar nicht kommentieren. All das sagt er mit einem Augenzwinkern und diesem frechen Grinsen auf dem Gesicht, das die Gäste immer wieder laut herauslachen lässt. Das Tagebuch, aus dem er schließlich liest, versetzt die Zuhörer aber erst einmal in eine ganz andere Gemütslage. Es erzählt von Einsamkeit und den Abgründen der menschlichen Seele. Hier findet sich wenig Schönes oder Lichtes. Seine Protagonisten sind Antihelden, die sich mit dem Leben herumschlagen. Sie dürfen das Glück nur kurz spüren, um gleich darauf wieder abzustürzen. Genau dieses Auf und Ab macht die Geschichten von Clemens Meyers aus. Auch wenn die Leser nicht selbst auf Pferde wetten oder im Casino ihr Glück versuchen, wie die Helden in der Geschichte „Im Kessel“, sind sie doch gefesselt. Und als später der Gastgeber mit dem Autor über die letzten Rennen und die schönsten Rennbahnen Deutschlands spricht, kann man nicht anders, als sich mitreißen zu lassen von soviel Lebhaftigkeit und Erzählfreude.

Schließlich beendet der Autor selbst das Gespräch, als es gerade auf seine Begegnung mit dem Journalisten Joachim Lottmann zu sprechen kommt und wieder zu einer spannenden Story ausufern will. Das, so Clemens Meyer, führe nur zu Chaos und Anarchie. Andrea Schneider

Andrea Schneider

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