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Kultur: Am Strand

Die russische Tanztheater-Kompanie Derevo aus Dresden gastierte mit „Islands“ in der fabrik

Stand:

Eine Entzündung des Auges. Eine Reizung der Sinne. Eine Überwältigung des Wahrnehmens. Eine Entführung. Das ist „Derevo“. Die russische Tanztheater-Kompanie versteht es, mit tänzerischen Können und einem Vertrauen aufs Einfache magische Bilder zu erzeugen. Sie schweben ein mit der Leichtigkeit eines Federballs, den eine Tänzerin im Fluffröckchen zu Beginn des Abends aufhebt und weit hinter die Köpfe der Zuschauer schlägt. Der Federball landet im Meer, so suggeriert es der Sound. Er landet vielleicht dort, wo gerade das Boot zu Wasser gelassen wird, dessen kleines papiernes Abbild zwei Tänzer eine Holzschräge auf der Bühne hinunterschicken.

Und damit ist der Tanzabend am und im Meer eröffnet. „Islands“ ruft Bilder verschiedenster Lebenswelten des Meeres und des Strandes auf, zitiert und ironisiert Klischees wie fröhlich marschierende Matrosen oder einen abgewrackten Kapitän, zeigt wunderbar übertrieben sommerlich gekleidete Strandgäste beim Ausführen ihrer Hunde, überspitzt betrunken torkelnde Seeleute, zeigt aber ebenso die Tier- und Unterwasserwelt.

Und das Erstaunliche daran ist, daß es nur zwei Tänzerinnen und zwei Tänzer sind, die diesen gewaltigen Bilderkosmos mit wenigen Requisiten wachrufen. Die genaue Beobachtungsgabe, das Vertrauen auf die poetische Ausdruckskraft der Körper, das Beherrschen verschiedenster tänzerischer Techniken, sei es der Butoh-Tanz, östliche Kampfkunst oder Ballett, und ein großer spielerischer Spaß an Verwandlungen macht aus den Körpern der Tänzer Schlingpflanzen, Krabben, Strandläufer, läßt den jugendlichen Gecken mit Hund ebenso überzeugend entstehen wie in einem anderen Bild den Blasentang. Das Rhythmusgefühl der Tänzer ist perfekt; sie verstehen etwas von der Zeit, die es braucht, um ein Bild sich entfalten zu lassen, aber auch von der Geschwindigkeit der Abwechslung.

Da sind in einer Unterwasserszene die hockenden Tänzer, die weiße Kugeln vor den Körpern halten, die durch langsame Drehung zu Halbschalen werden, einander zugewandt, aufeinander zugetragen, bis eine mitten im Bühnenraum hängende silberne Perle in sie eingeschlossen wird: die Erschaffung der Auster auf dem Meeresgrund. Es gibt einen Moment, in dem die Körper lang ausgestreckt auf dem Boden mit ausgebreiteten Armen liegen und leicht schwanken, wie Möwen im Wind, oder der gejagte Fisch, dessen Todeszuckungen im Körper des Jägers widerhallen. Es gibt den Tänzer, der auf einer scheinbar freistehenden Holzleiter, die an der Bühnendecke mit einem Draht befestigt ist, leicht hin und herschwankt, wie eine am Meeresgrund wachsende Plfanze, und auf einmal befinden wir uns als Zuschauer tatsächlich im Wasser, die Illusion ist perfekt, wir scheinen in die Langsamkeit aufgenommen, in dieses besondere Schweben am Grund, und begegnen tief unter der Oberfläche einer anderen Welt. Und weil diese Welt am Verschwinden ist, gerät auch der Tanz auf der Bühne bald aggressiver, aus der märchenhaften Begeisterung, der kindlichen Sicht auf das Meer, das Matrosen tanzen und Liebespaare Sonnenstrahlen entlanggleiten sieht, wird erwachsene Nüchternheit, dann Aggression. Dem Magier am Bühnenrand knickt die Wunderblume um; jetzt entstehen Bilder der Zerstörungswut – verendende Vögel, ausgelieferte Körper – die von einer zynischen Durchsage beendet werden. „Wir sind böse Tiere. Wir sind hier, um zu gehen, wir sind nicht hier, um zu bleiben“, heißt es.

Anton Adassinski hat die Kompanie 1988 in Leningrad gegründet, mittlerweile arbeiten sie seit zwölf Jahren in Dresden, aber solche Fakten, sagt der Künstlerische Leiter und Hauptdarsteller im Gespräch danach, seien unwichtig. Wichtig sei es, sich freizumachen, sich durcheinanderzuwirbeln, neu zu mischen wie ein Suppe. Das jedenfalls sei das Arbeitsprinzip von Derevo. „Was nützt es dir zu wissen, wie alt ich bin, wenn ich dir doch gerade einen Traum geschenkt habe.“ Antje Strubel

Antje Strubel

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