zum Hauptinhalt

Kultur: An der Schmerzgrenze

Franz Grillparzers Trauerspiel „Die Jüdin von Toledo“ hatte am Hans Otto Theater Premiere

Stand:

Schaumgeboren wie einst Liebesgöttin Aphrodite entsteigt Rahel aus dem Seifenblasenteppich auf der Bühne des Hans-Otto-Theaters. Bei der „Jüdin von Toledo“ von Franz Grillparzer, der ersten Premiere der neuen Saison, platzten viele Seifenblasen auf, mehr oder weniger laut.

In der Inszenierung von Jaqueline Kornmüller, die damit ihren Einstand am Hans-Otto-Theater gibt, zeigt sich, dass die Scheu vor dem Stück – selbst sein Verfasser gab es zu Lebzeiten nicht frei, obwohl er 40 Jahre lang daran arbeitete – bis heute nicht ungerechtfertigt ist.

Das „Historische Trauerspiel“, wie es bei Grillparzer im Untertitel noch heißt, basiert auf einem uralten Stoff der Weltgeschichte. Einst hatte sich der christliche König Alfonso VIII. in eine schöne Jüdin verliebt. Nach einem Misserfolg beim Krieg gegen die Mauren wird die Jüdin für die Ablenkung des Königs verantwortlich gemacht und auf Befehl seiner Berater ermordet. Unter den zahlreichen Bearbeitungen dieser Geschichte ragt Grillparzers Schauspiel heraus mit einem Dilemma zwischen Staatsräson und Leidenschaft, ohne befriedigende Lösung. Es ist - trotz seiner strengen, fünfaktigen Form und seiner klassischen Dramenverse - ein seltsames Stück, düster, schwerfällig und hoffnungslos. Am Ende bezichtigen sich alle gegenseitig als schuldig und führen ihre gewohnten Staats- und Kriegsspiele fort.

So zumindest erscheint es in der Interpretation von Jacqueline Kornmüller, die den Stoff äußerlich modernisiert hat, aber zugleich auf einiges verzichtet hat. Die Ausführungen über Juden und Judentum wurden stark reduziert. Obwohl Rachel und deren Schwester Esther wie Musliminnen gekleidet sind, reden sie textgetreu von der „Jüdin“. So bleiben Vagheit und dunkle Verlockung, die von Rahel ausgehen. Sie definiert sich als Geschlechtswesen, sehr verletzlich in ihrer Splitter-Faser-Nackheit, die sie den gesamten Auftritt über präsentiert. Dass sie dabei manchmal Einblicke gewährt wie sonst eher dem Gynäkologen, ist etwas gewöhnungsbedürftig. Die Frau als naturhaftes, sexuelles Wesen darzustellen, als Vorwegnahme von Wedekinds Lulu und dem Blauen Engel, war zu Grillparzers Zeiten skandalträchtig. Heute provoziert es vielleicht noch die Verfechter des Gender-Mainstreaming, aber Medienkonsumenten sind doch ganz anderes gewohnt.

Bei allen körperlichen, mimischen und verbalen Anstrengungen von Julia Malik, die mutig die Rachel spielt, bleibt undeutlich, was diese Person von den anderen unterscheidet. Sie fügt sich gut ins Tableau der Schuldigen ein, kann genauso mutwillig und grausam sein wie jene. Einzig ihre Funktion als Opfer unterscheidet sie, wie das Bühnenbild penetrant klar macht: mit einem toten Reh, das von der Decke baumelt, mit ihrer eigenen an die Wand gehängten, blutigen Leiche, und, aller guten Dinge sind drei, mit der Projektion ihres von einer schwarzen Kapuze verhüllten Kopfes – Abu Ghraib lässt grüßen.

König Alfonso, den Philipp Mauritz als eiskalten Yuppie spielt, kann wieder ans Tagwerk gehen. Ebenso eiskalt und berechnend wirkt seine Gattin, Eleonore, die Anne Lebinsky mit großen Gesten gibt. Optisch und akustisch geht die Inszenierung bisweilen an die Schmerzgrenze, wobei der Text auch mal untergeht. Mit Hubschrauberlärm, Gitarrengeklimper, Kyrie-eleison-Chören wird auf die Tube gedrückt. Den Freund Don Garceran gibt Hendrik Schubert nicht als Frauenkenner sondern als treuherzigen, pflichtbewussten Soldaten. Vor allem die nicht unbrisante Figur des Juden Isaak (Andreas Herrmann), wieder in musliminischer Verkleidung, wurde sehr reduziert, wohl zugunsten der politischen Korrektness.

Herausragend spielt Friederike Walke, ein Neuzugang am Theater, die Schwester Esther, mit klarer Diktion und weiser Zurückhaltung. Sie hat als einzige in diesem Irrenhaus der entfesselten Machtpolitiker und Krieger den Durchblick. Doch das nützt ihr und den Zuschauern auch nichts. Die Bühne (Alexandra Hahn) ist angenehm schlicht mit ihren klinisch weißen Rundungen, ohne Öffnungen, ohne Aussichten, ohne Auswege. Verhaltener Beifall und einige Buhs.

Nächste Vorstellungen im Neuen Theater: heute um 19.30 Uhr, morgen um 15 Uhr

Babette Kaiserkern

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })