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Von Almut Andreae: An die Malerei

„Kontinuität und Irritation“: Ein Bilderzyklus von Bernd Völkle im KunstHaus Potsdam

Stand:

Mann und Frau im Angesicht der Versuchung: ein Thema so alt wie die Menschheit erfährt bei Max Beckmann eine ganz neue Deutung. Das Hauptbild der „Versuchung des Heiligen Antonius“ – so der Titel eines 1936/37 entstandenen Beckmann-Triptychons – wird motivisch von einem gefesselten Mann, halb liegend, und seinem weiblichen Gegenüber beherrscht. Als Beckmann das Versuchungs-Triptychon malte, stand er auch unter dem Eindruck des berühmten Isenheimer Altars aus dem frühen 16. Jahrhundert von Matthias Grünewald, darin eine Tafel, die der „Versuchung des hl. Antonius“ gewidmet ist.

Soviel in aller Kürze zur Vorgeschichte eines Bildes, das zur Zeit unter dem Titel „Beckamnn matissiert“ inmitten 25 weiterer Bilder des 1940 in Mühlheim/Baden geborenen Malers Bernd Völkle im KunstHaus Potsdam hängt. Dieser hat eine Farbreproduktion des Beckmann-Bildes genommen, aufgeklebt und sie dann anders weitererzählt. Besonders einschneidend hierbei: die Frauenfigur im Beckmann-Bild. Er hat durch eine scherenschnittartige blaue Figur à la Matisse ersetzt. Völkle nennt das „matissiert“. So ähnlich wie man ja auch heute mittels digitaler Bildbearbeitung am Rechner in Bildvorlagen eingreift und diese manipuliert.

Interessant erscheint die Frage, aus welchem Grund ein zeitgenössischer Maler qua Bild einen Dialog zwischen Max Beckmann und Henri Matisse inszeniert. Dass das nicht ohne Augenzwinkern stattfindet, dafür spricht die winzige Signatur des Künstlers, die er der Bildsignatur des Kollegen Beckmann kokett an die Seite stellt. Malerei wird zum Zwiegespräch, arrangiert und erweitert durch Völkle. Ein Motiv könnte sein, unterschiedliche künstlerische Handschriften miteinander abzugleichen. Ein anderes, sich selbst und seine Position als Künstler dazu ins Verhältnis zu setzen. Mit Paul Cézanne und Piet Mondrian hat Bernd Völkle es auch getan. In dem Falle wurde Cézanne mondrianisiert (in der Tat wäre das Bildcloning unter umgekehrten Vorzeichen nur schwerlich vorstellbar gewesen).

Die in der Ausstellung gezeigten Bilder schließen sich thematisch zu einem Zyklus zusammen. Der rote Faden, der von Bild zu Bild läuft, lautet "Kontinuität und Irritation". Gute alte "Bekannte" tauchen in diesen Bildern auf: hier ein bisschen van Gogh, dort ein Stück Macke, Klee und Courbet. Bernd Völkle hat sich berühmter Vor-Bilder der Kunstgeschichte angenommen, einerseits aus Respekt, sicherlich, andererseits um sich ihrer neu zu versichern. Ausschnitte, die er diesen Vor-Bildern willkürlich entnimmt, werden in seinen Bildern zur Arbeitsprobe der jeweiligen künstlerischen Handschrift, zum malerischen Fingerabdruck. Das Fortführen, Anknüpfen und Erweitern, aber auch die Distanzierung, der bewusste Bruch in Bezug auf die Vorlage ist eine sehr persönliche Stellungnahme, ein Kommentar mit den Mitteln des Malers: mit Farbe und Form.

Doch würde man dem Zyklus „Kontinuität und Irritation“ nicht gerecht, wenn man ihn ausschließlich unter dem Blickwinkel einer Standortbestimmung Völkles zu ausgewählten Ikonen der Kunstgeschichte betrachtet. Die Irritation durch das Bild findet hier noch auf ganz andere Weise statt. Auch Zeitungsbilder, beispielsweise von Polarexpeditionen, führenden Staatsoberhäuptern oder Soldaten erleben bei Völkle eine Neugeburt. Freilich nicht, ohne ihnen vorher durch Übermalungen und andere Zutaten eine andere Identität und Aussage zu geben. Es ist ein spielerisches Hinterfragen des heutigen Bildes, seiner Nachricht, dem also, was es als Botschaft transportiert.

Durch die Mischung manipulierter Bilder aus der Kunstgeschichte und des Nachrichtenbildes unserer Zeit erweitert sich der Radius der künstlerischen Aussage. In seinem 2008 entstandenen Zyklus geht es dem Künstler um das kritische Befragen von Kontinuitäten und um das Herantasten an malerische Wege der Bild-Irritation. Erkenntnis durch Irritation ist hier wohl auch ein entscheidendes Motiv. Die eigene Irritation über die Macht der Bilder gibt der Maler an den Betrachter weiter. Und nimmt ihn in den Prozess der Reflexion mit hinein. Das ist das Ungewöhnliche, das Mutige auch: dass der Künstler Völkle sich beim Nachdenken über Malerei quasi über die Schulter schauen lässt. Die Ausstellung dieser Bilder wird somit zu einer offenen Werkstatt, in der der Künstler stellenweise auch eigene Unvollkommenheiten gelten lässt.

Bis 28. Juni. Mi-Fr 15 bis18 Uhr, Sa/So 12-17 Uhr. KunstHaus, Ulanenweg 9 (Anfahrt über Jägerallee)

Almut Andreae

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