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Kultur: Analog-digitales Gemisch der Klänge Barocke Blockbuster in der „Aufgemischt“-Reihe
Metallische, gedehnte Töne schweben durch das Foyer des Nikolaisaals, schwellen an und ab. Erzeugt werden sie von Nadja Zwiener, einer zierlichen jungen Violinistin, und Johannes Malfatti, der hochgewachsen hinter Laptop und Synthesizer steht.
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Metallische, gedehnte Töne schweben durch das Foyer des Nikolaisaals, schwellen an und ab. Erzeugt werden sie von Nadja Zwiener, einer zierlichen jungen Violinistin, und Johannes Malfatti, der hochgewachsen hinter Laptop und Synthesizer steht. Mehr und mehr schälen sich einzelne Geigentöne aus dem Klanggemisch hervor, bis eine Allemande aus dem 17. Jahrhundert vollständig erklingt. Bei solch ungewohnten Klängen schauen die locker auf Sesseln und Liegestühlen lagernden jungen Menschen sogar von ihren Smartphones auf. Mit wabernden Fantasyfilm-Klängen aus Malfattis Soundmaschine schließt der erste Teil.
In der neuen Serie „Aufgemischt“ möchte der Nikolaisaal Musiker präsentieren, die sich dem Dialog der Genres und Stile stellen. An diesem Abend erklingen eine Reihe von barocken Blockbustern, ganz analog auf der Geige gespielt, aber verpackt in abwechselnd wabernde, wummernde oder wimmernde Klänge aus der digitalen Ein-Mann-Klangfabrik. Doch bevor es weitergeht, muss die empfindliche Barockgeige aus dem Jahr 1723 erst einmal von Nadja Zwiener neu gestimmt werden. Ob sich ihr Erbauer, David Tecchler, jemals träumen konnte, was sein Instrument eines Tages noch erleben würde? Selbst die jungen Leute, die mit der virtuellen Technik aufgewachsen sind, lauschen gebannt, als Nadja Zwiener die vertrackt ineinandergeschachtelten Tonfolgen aus der h-Moll-Partita von Johann Sebastian Bach anstimmt.
Die aus Erfurt stammende Geigerin, die in Berlin und London studiert hat, spielt, wie es die historische Praxis will, im Stehen und ohne Kinnstütze. Ihr Ton ist energisch, glasklar, fadenfein in den Figurationen und Verzierungen. Johannes Malfatti, Absolvent der Babelsberger Filmhochschule, Komponist und Tonmeister, verstärkt und verfremdet die gerade aufgenommenen Töne der Geigerin, reichert sie rhythmisch und klanglich an. Kompositionsvorschriften wie im Barock existieren für ihn nicht, sein Vorgehen ist intuitiv, doch die Methode hochkompliziert, denn die Technik muss beherrscht werden, genau wie beim Geigenspiel. Wenn Nadja Zwiener das ausdrucksvolle Andante aus Johann Sebastian Bachs Violinkonzert a-Moll mit quasi gefrorenen Triolenketten spielt, ranken dazu psychedelische Elektroklänge, angetrieben vom durchdringenden ostinaten Bass – fast wie im Original.
Dass sich die mechanischen Rhythmen und meditativen Klänge der Barockmusik gut für moderne Musik eignen, haben schon viele Musiker genutzt. Lang ist die Liste derer, die Werke von Bach und anderen verjazzt, verswingt und verrockt haben. Auch die berühmte Folia nach einem iberischen Tanz aus dem 16. Jahrhundert ist ein Musterstück dafür, zumal eines, das bis heute seine Wirkung nicht verfehlt, egal, in welcher Form es nun gerade serviert wird, historisch informiert, elektronisch konvertiert oder beides zusammen, wie bei Nadja Zwiener und Johannes Malfatti. Für die jungen Leute, die womöglich solch ein uraltes, fetziges Stück noch nie gehört haben, mag das eine Überraschung gewesen sein. Hier passten Anlass, Ort und Präsentation zusammen. Ob das auch für die Passacaglia g-Moll von Heinrich Ignaz Biber galt, sei dahingestellt. Das letzte Stück aus Bibers magischen Mysterien-Sonaten entfaltet von Beginn an größtmöglichen tiefen Ernst und taucht mit seiner absteigenden Bassfigur im Umfang einer Quarte ins spirituelle Zentrum dieses ergreifenden Werks ein.
In der glatten, oberflächlichen, diskotauglichen Klangflächenmischung des Abends ging diese Dimension unter. Vielleicht sollte damit ja das Motto des Programmhefts „ideologiefrei eine neuartige Musik entwickeln“ gebührlich eingelöst werden? Auch die Frage, ob das bloße elektronische Verbrämen und Verpacken von ein paar alten Werken gleich neue oder zumindest neuartige Musik hervorbringt, sei hiermit weitergegeben. Das Publikum zumindest war begeistert und spendete den beiden engagierten Akteuren Nadja Zwiener und Johannes Malfatti viel Applaus.Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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