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Kultur: Analytischer Hörgenuss

Messen-Experimente bei den Bachtagen

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Messen-Experimente bei den Bachtagen Mit geistigen Kräften haushalten und aus künstlerischen Erträgen weiteres Kapital herausschlagen – das zeichnet nicht nur modernes (Kunst-)Management aus, sondern war auch bei den Altvorderen sehr beliebt. Was man heute Zweitverwertung zu nennen pflegt, hieß damals Parodieverfahren. Was nicht anderes bedeutet, als dass man bereits vorhandene Stücke neu fasste, ihnen einen anderen Text unterlegte. Wie sonst sollte man der ständigen Nachfrage entsprechen? Johann Sebastian Bach war darin ein Meister. Nicht nur das Weihnachtsoratorium kann davon ein Lied singen, auch die so genannten Kleinen Messen BWV 233-236 verdanken ihr Entstehen solcher rationeller Technologie. Sie entstanden etwa 1737/38 in Leipzig. Ihr Auftraggeber war vermutlich Reichsgraf Franz Anton von Sporck aus Böhmen. Um diese Messen, die für den liturgischen Gebrauch bestimmt waren, zu verfertigen, wilderte Bach in seinem Kirchenkantatenschatz. Allen sechsteiligen Werken ist eigen, dass nur Kyrie und Gloria des Ordinariums vertont sind, Credo, Sanctus und Agnus Dei dagegen nicht. Drei der Messen (BWV 234-235) ließ Björn O. Wiede unter dem Titel „Exxential Bach“ bei den Bachtagen in der Nikolaikirche erklingen: in ausnahmslos solistischer Vokal- und Instrumentalbesetzung. Damit will Wiede wieder zurück zur originalen Wiedergabepraxis. Konsequent geht er seit Jahren diesen Weg. Erfahrene Künstler begleiten ihn dabei. Allen voran der legendäre Violoncellist Siegfried Pank, ein exzellenter Barock-Rhetoriker auf Saiten. Dem Continuo mit Norbert Schuster (Kontrabass) und Björn O. Wiede am Orgelportativ gibt er mit seinem stilkundigen Spiel wesentliche Impulse. Der Chor besteht aus je einem Vertreter der vier Stimmfächer. Sie als solchen zu akzeptieren, ist allerdings gewöhnungsbedürftig. Während der Sopran immer wieder solistisch hervordrängt, bemühen sich die anderen um chorisches Singen. Neben den Continuisten wirken stets zwei Violinen und eine Bratsche, unterstützt entweder von zwei Traversflöten oder zwei Oboen. Dieses instrumentale Mini-Ensemble begeistert durch spielerische Beweglichkeit und Klangtransparenz. Erneut bestätigt sich die Wiedesche Idee, dass der aufs Notwendigste abgespeckte Apparat bei der Entflechtung kunstvollen Stimmengeflechtes die vorzüglichsten Wirkungen zu erzeugen versteht. Dem analytischen Hörgenuss sind keine Grenzen gesetzt. Die Gesangssolisten bemühen sich fast durchweg um instrumentale Stimmführung. Die könnte dem Vorgetragenen die Aura des Unbeteiligten verleihen, ist jedoch allein der liturgischen Absicht geschuldet, nicht vom Pfad der Tugend (sprich: Textobjektivität) zu lassen. Bassist Matthias Lutze ist darin ein Meister. Seine „Domine Deus“-Arie aus der A-Dur-Messe BWV 234 (von Geiger Wolfgang Hasleder ausdrucksschlicht umspielt) ist dafür bestes Beispiel. Instrumentaliter führt auch Barbara Christiane Steude ihren lieblich timbrierten, klar und ausgeglichen bis in strahlende Höhen jubilierenden Sopran. Eine ausgezeichnete Oratorienstimme. Über die verfügt Altus Alexander Schneider weit weniger. Unausgeglichen klingen die Register. Angenehm hört sich der Gesang von Christoph Leonhardt (Tenor) an. Klingen die Solisten im Duett oder den Chören zusammen, ist’s des Guten nie zuviel. So gewinnt sich der Schluss-Chor aus der G-Dur-Messe BWV 236 geradezu Mozartsche Leichtigkeit und Lebendigkeit. Der von schlichter Eindringlichkeit erfüllten Wiedergaben fällt herzlicher Beifall zu.Peter Buske

Peter Buske

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