Kultur: Andacht für 22 Muslime
arche-Vortrag über die Militärseelsorge in Potsdam
Stand:
In Potsdam gab es ab Ende des 19. Jahrhunderts zwei Garnisonkirchen: Neben der altbekannten für die Soldaten evangelischer Konfession erfüllte für die Katholiken die 1870 geweihte Kirche St. Peter und Paul diesen Zweck. Das ergab sich daraus, dass mit der Gründung des deutschen Kaiserreichs und eines Reichsheeres auch in Potsdam die Zahl an Soldaten dieser Konfession stark anstieg. Zuvor hatten sie an Gottesdiensten in der 1722 errichteten und 1732 erneuerten Garnisonkirche oder in der auf dem Hof der Gewehrfabrik für die aus Lüttich gekommenen katholischen Facharbeiter gebauten Kapelle teilgenommen.
Dies erläuterte der Militärhistoriker Rainer Lambrecht in einem „arche“ -Vortrag über die Militärseelsorge in Potsdam. Nachdem für die wenigen Soldaten zunächst nur die Kapelle im Stadtschloss mit zur Verfügung gestellt wurde, begann unter Friedrich Wilhelm I. der Bau von Gotteshäusern für verschiedene Konfessionen. Der von echter christlischer Frömmigkeit erfüllte König achtete alle Religionen. Für die durch die Verlegung der „Langen Kerls“ und schrittweise des Königsregiments (Nr. 6) steil ansteigende Zahl der Soldaten ließ er nicht nur die Stadt erweitern. Er ermöglichte auch den aus vieler Herren Länder oft mit fragwürdigen Methoden angeworbenen Riesengrenadieren, auf ihre Weise zu Gott zu beten. Ein Beispiel dieser Toleranz ist, dass er für die nur 22 Muslime unter den fast 6000 Mann des Königsregiments einen eigenen Andachtsraum einrichten ließ. Für die etwa 300 Russen wurde an den Langen Stall auf der Plantage eine orthodoxe Kirche angebaut. Für die Gottesdienste wurde zeitweilig sogar ein Pope aus Moskau geholt, ansonsten übernahm der Geistliche der russischen Gesandtschaft in Berlin deren Leitung. Auch die Polen und Ungarn bekamen einen eigenen Prediger.
Als die Söldnerwerbung im Ausland aufgeben wurde und nach den Befreiungkriegen (1813-1815) die Soldaten schrittweise von Bürgerquartieren in neu errichtete Kasernen umzogen, vereinfachte sich die Militärseelsorge. Für das Gardekorps, das die Gardeeinheiten zusammenfasste, gab es einen in Potsdam angesiedelten obersten Militärpfarrer; außerdem bestanden in der Priesterstraße (heute Tresckow-Straße) ein evangelisches und in der Burgstraße ein katholisches Garnisonpfarramt für die 1. Garde-Division. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden sie durch Standortpfarrämter abgelöst. Im Nationalsozialismus wurden die Militärpfarrer streng auf ihre gottesdienstlichen Aufgaben begrenzt, die psychologische Betreuung der Soldaten, die Veranstaltung von Seminaren wurde ihnen untersagt, ja sogar als Redner auf Gedenkfeiern waren sie unerwünscht. Laut Lambrecht beugten sie sich diesem Druck und wurden in der Widerstandsbewegung der Militärs gegen Hitler, die im Potsdamer Infanterieregiment 9 einen Konzentrationspunkt hatte, kaum wirksam.
In der Armee der DDR gab es keine Militärseelsorge, sie wurde erst nach der deutschen Wiedervereinigung neu belebt. Bei den vom Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam/Geltow gesteuerten Friedenseinsätzen sehen sich die Soldaten in Krisen- und Kriegsgebieten erstmals wieder der Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt, dies erhöhe die Bedeutung der seelsorgerischen Tätigkeit. Eine solche Wertung des Wirkens der Militärpfarrer hätte man sich vom Vortragenden auch für die Potsdamer Vergangenheit gewünscht. Beispielsweise zur tragischen Gestalt des Paters Raymundus Bruns, der 1730 im Konflikt zwischen Beichtgeheimnis und Staatssräson dem Soldatenkönig eine beabsichtige Meuterei meldete und damit 80 polnische und ungarische Lange Kerls katholischen Glaubens in den Tod schickte. Erhart Hohenstein
Erhart Hohenstein
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