Potsdam in ungeahnter Leidenschaft: Andrang im HOT – um Flüchtlingen zu begegnen
Es ist warm, die Luft ist stickig, Platz zum Bewegen gibt es kaum – trotzdem ist die Stimmung gut. Obwohl, so darf man es eigentlich nicht sagen.
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Es ist warm, die Luft ist stickig, Platz zum Bewegen gibt es kaum – trotzdem ist die Stimmung gut. Obwohl, so darf man es eigentlich nicht sagen. Nicht trotz des Mangels an Bewegung ist die Stimmung gut, sondern gerade deswegen und die Stimmung ist nicht nur gut, sie ist bombastisch.
Laut, ausgelassen und voller Begegnungen der unterschiedlichsten Art. In der Schiffbauergasse tummeln sich in und um die Reithalle des Hans Otto Theaters (HOT) herum Hunderte von Menschen, die alle an der „Langen Nacht der Begegnungen“ teilnehmen möchten, die am vergangenen Donnerstag hier stattfand. Mit der Veranstaltung wollte das Theater ein Signal für eine tolerante, weltoffene Gesellschaft setzen und Flüchtlingen sowie Besuchern die Möglichkeit geben, mit ihren neuen Nachbarn, den Theaterschauspielern oder auch einfach untereinander ins Gespräch zu kommen. Ein Konzept, das aufgeht – sogar so sehr, dass die Türen des Theaters vorübergehend wegen Überfüllung geschlossen werden müssen. Interessierte lassen sich davon allerdings nicht abhalten und warten mehr oder weniger geduldig in der feuchtdunstigen Abendluft.
Begegnungen gibt es dort genauso wie drinnen, Wartende kommen ins Gespräch. Weswegen sie denn hergekommen sei, fragt ein älteres Pärchen eine junge Frau, die versucht, zumindest einen Blick durch den Türspalt zu werfen. Mit Freunden sei sie verabredet. Die kenne jemanden, der jemanden aus Syrien kennt, wie das eben so ist. Das Pärchen sagt von sich, es sei vor allem neugierig, möchte sehen, auf welche Art kulturelle Begegnungen stattfinden können – und außerdem wollen sie gerne das Essen probieren.
Das kann sich in der Tat sehen lassen – oder besser gesagt konnte, denn als die beiden endlich nach drinnen vorgedrungen sind, ist schon kaum mehr etwas übrig von den vielen Speisen. Alle haben hier etwas beigetragen, wie Stefanie Eue, Pressesprecherin des HOT, sagt. Schauspieler, Flüchtlinge, Theatertechniker oder auch Potsdamer – sie alle haben etwas gebacken, gemixt oder gekocht und packen auch beim Service mit an. Schauspielerin Andrea Thelemann etwa räumt unerlässlich Teller zur Seite, Kollegin Rita Feldmeier sorgt inzwischen dafür, dass die syrischen Musiker Nabil Hilaneh und Reham Maslmani im Nachtboulevard auch funktionierende Mikrofone zur Verfügung haben.
Dort ist es etwas ruhiger als im Foyer, die Gespräche laufen zivilisiert an Tischen. Über Handys wird sich dabei ausgetauscht oder über die Fortschritte mit der deutschen Sprache. Damit die Kommunikation auch international klappt, sind 20 Dolmetscher vor Ort. Dabei ist es herzerwärmend anzusehen, wie die Menschen mit Händen, Füßen und verzerrter Mimik kommunizieren, in den Sprachen switchen oder eben auch mal im lauten Arabisch über mehrere Meter hinweg kommunizieren. Überhaupt funktionieren die Begegnungen häufig auch über kleinere Entfernungen, Hände werden über andere Köpfe hinweg geschüttelt, manchmal wird auch zum Telefon gegriffen – nicht nur um zu telefonieren, sondern auch um Fotos zu schießen. Viele Selfies entstehen dabei, schließlich möchte die Veranstaltung festgehalten werden, so ein junger Mann aus Syrien. Außerdem wolle er die Bilder seiner Familie schicken.
Später, beim Bühnenprogramm, schaltet er auf die Kamerafunktion, um erst die Kinderperformance „Du und Ich/Me and you“ mit sichtlichem Vergnügen und dann den Auftritt der Westafrikanischen Percussion-Band Senegambigha mit begeisterndem Fußstampfen zu filmen. Und er ist nicht der Einzige, der von dem feurigen Rhythmus mitgenommen wird: Zwar sind ein paar Kinder auf der Bühne die Einzigen, die sich trauen so richtig mitzutanzen, aber der jubelnde Applaus und das Stampfen des Publikums seien für Brandenburger Verhältnisse schon ziemlich viel gezeigte Leidenschaft, wie Schauspieler Michael Schrodt trocken kommentiert.
Recht hat er. Die brandenburgische Leidenschaft weitet sich dann immerhin noch fast bis 1 Uhr morgens aus, wie Stefanie Eue am gestrigen Freitag erzählt. Ab etwa halb zwölf sei es zwar nicht mehr so brechend voll gewesen, aber im Nachtboulevard wurde wohl noch fleißig getanzt und auch nach Mitternacht seien die Besucher noch in einzelne Gespräche vertieft gewesen. Insgesamt sei das gesamte Team sehr zufrieden und zutiefst gerührt von dem großen Andrang. Die nächsten Veranstaltungen dieser Art seien bereits in Planung. Auch wenn Eue diesbezüglich noch nichts Näheres verraten konnte, versicherte sie, dass es auf jeden Fall wieder eine solche Begegnung im Hans Otto Theater geben wird – hoffentlich auch wieder mit einer großen Menge guter Laune. Sarah Kugler
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