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Kultur: Angespitzte Sinne

Eröffnung der 17. „Potsdamer Hofkonzerte“

Stand:

„Ohne Wasser, merkt euch das, wär“ unsre Welt ein leeres Fass“, singt es in Dunajewskis bekanntem „Lied vom Wasserträger“. Diesem lebenswichtigen Elixier hat sich das diesjährige brandenburgische „Kulturland“-Thema verschrieben. Auch die „Potsdamer Hofkonzerte“ stellen ihre 17. Saison ganz darauf ein und eröffneten sie im Schlosstheater im Neuen Palais unter dem Motto „Und sie schämeten sich nicht“.

Dabei erwies sich die Offerte als eine reizvolle, informative und vergnüglich anzuhörende Kulturgeschichte der Körperhygiene und Badekultur, die Schauspieler Jens Uwe Bogadtke verfasst hat und amüsant vom Blatt plaudert. Diaprojektionen diverser diesbezüglicher Accessoires von der Puderdose bis zum „Pisstopf“ veranschaulichen drastisch, wovon die Rede geht.

Wasser. Nicht immer steht es in hoher Gunst. Während im Mittelalter Männlein und Weiblein im Badezuber öffentlich ihren Wasch- und sonstigen Vergnügungen lustvoll frönen, lässt in späteren Zeiten das Interesse an dieser Art von Körperpflege nach. Wo sonst Nass und Seifen genügen, um unerwünschte Körpergerüche zu beseitigen, müssen nun Puder, Pomade und Parfüms herhalten. Je mehr, desto besser. Man erfindet Riechäpfel und Flacons, um Lebensgeister zu stimulieren oder wieder zu erwecken. Was schon Goethes Gretchen zu dem Hilferuf veranlasst: „Nachbarin! Euer Fläschchen!“

Von Frisuren handelt der nächste Abschnitt, in dem Bogadtke von Perückenmachern und ihren oftmals turmhohen Produkten manches amüsante Detail berichtet. Blond ist im 17. und 18. Jahrhundert gefragt, Haarwaschen dagegen nicht – weil total schädlich. Während in Frankreich die Allongeperücke „in“ ist, bevorzugt man in Preußen den „Schafskopf“, einen eng anliegenden Haarersatz. Doch in den teilweise mit Obst und Gemüse aufgebretzelten Aufputzen nisten mancherlei Tierchen, so dass Flohfallen in die „schmutzigen Konstruktionen“ gleich mit eingearbeitet werden. Schließlich werden wir Bildungsbeflissenen mit Fragen der Notdurftverrichtungen konfrontiert. Wir sehen königliche Kackstühle, solo oder im Kollektiv benutzt. In letzterem Fall heißt“s „Sitzung“, bei der man plaudert, Geschäfte getätigt oder Politik gemacht werden.

Genug der Körperhygiene. Zur Seelenpflege gibt es zwischendurch den aufgeteilten „Vier Jahreszeiten“- Zyklus von Antonio Vivaldi, musiziert vom englischen Ensemble „Red Priest“, benannt nach dem rothaarigen Priester-Komponisten. Wer auf vertraute Barockgefilde hofft, sieht und hört sich in anderen Welten wieder. Die vierköpfige Truppe benutzt die musikalischen Zeitabschnittsbeschreibungen als kreative Knetmasse eigener Vorstellungen vom Barockzeitalter. Es wendet sich von der Schilderung idyllischen Landlebens ab, geht mit Vivaldi antiautoritär um, dabei die dekadente Seite des Barock aufzeigend. Formans Mozart-Entheroisierung lässt grüßen! Überdies sorgt der britische Humor dafür, dass erstens Text- und Musikabschnitte vorzüglich zueinander passen und zweitens man Vivaldi mit angespitzten Sinnen genießen kann.

Der originale Violinpart ist der Blockflöte übertragen, die Piers Adams fingerflink und gestaltungsvirtuos zu handhaben versteht. Oftmals glaubt man, als spiele ein Zigeunerprimas zum Tanz auf dem Jahrmarkt auf. Oder es habe sich eine durch Julia Bishop (Barockvioline), Angela East (Barockcello) und Howard Beachs (Cembalo) vervierfachte Nigel-Kennedy-Family auf den körperintensiven Vivaldi-Trip begeben. Vom Frühling bis in den Herbst erweisen sich die temperamentsberstend aufspielenden Instrumentalisten als Vogelstimmenimitatoren. Dann wieder werden sie während der Herbst-Zecherei vom Schlaf übermannt (nur das Cembalo tastatiert einsam weiter) – bis ihnen die britische Hymne wieder auf die Beine hilft. Und die frostigen Winter-Klänge hat man selten so klirrend gehört wie durch sie. Bei diesem despektierlich-witzigen Vivaldi-Umgang ist das Auditorium mehr als nur amused: hemmungslos klatscht es sich seine Begeisterung aus den Händen.

Peter Buske

Peter Buske

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