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Der Neue wurde mit Jubel empfangen.

© promo

Von Babette Kaiserkern: Anmutsvoll und neu verschlungen

Antonello Manacorda gab sein Auftaktkonzert als neuer Chefdirigent der Kammerakademie Potsdam

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Erwartungsvolle Spannung im ausverkauften Nikolaisaal. Es ist das erste Konzert der Kammerakademie Potsdam mit ihrem neuen Leiter Antonello Manacorda. Für die offizielle Premiere am Samstag wählt der italienische Dirigent, der sich bereits im März mit einem gelungenen Konzert empfahl, ein gediegenes Programm mit Werken von Ludwig von Beethoven und Franz Schubert. Einzig Aribert Reimanns Metamorphosen führen von der klassisch-romantischen Vergangenheit in die Gegenwart und zurück.

Das knappe, filigrane Werk für fünf Streicher und fünf Bläser knüpft an ein vergleichsweise unbekanntes Menuett von Franz Schubert an. Das Verfahren von Reimanns zum Schubert-Jahr 1997 entstandene Metamorphosen ähnelt dem von Schubert. So wie dieser barocke Vorlagen romantisch transformierte, verkleidet nun Reimann die alte Gestalt mit zeitgenössischen Gewändern. Wesentliche Elemente der Schubert’schen Komposition bilden einen gleichsam schützenden Rahmen um die splitternde Dekonstruktion derselben. Was zunächst mit Originalmelodie und kontrapunktierendem Basslauf vorgeführt wird, zerfällt in modernistische Mosaiksteinchen. Ingeniös folgt ein fragmentarischer Einwurf dem nächsten, bis es beinahe zum Stillstand kommt. Pfeifendhohe Violinen im Terzett mit einer Piccoloflöte bringen die glückhafte Peripetie. Mit dem wiederholten Schubert-Zitat schließt das wunderliche Werk, das von den kammerakademischen Instrumentalisten mit Hingabe und Präzision musiziert wird.

Was heute als Ludwig van Beethovens Klavierkonzert Nr. 1 C-Dur firmiert, ist genau genommen bereits sein drittes oder, wenn man das Jugendwerk in Es-Dur weglässt, sein zweites. Dass Beethoven, damals noch ein reisender Klaviervirtuose, sich dieses bravouröse Werk auf den Leib geschrieben hat, ist deutlich hörbar. Mit Henri Sigfridsson erscheint im Nikolaisaal ein Pianist, der dem eher selten gespielten Werk Statur und Ausdruck verlieh. Seiner markanten, geradlinigen, klangschönen Interpretation möchte man, aller Gender-Diskussion zum Trotz, rechtschaffen männliche Attribute geben. Nicht nur in der kurzen Kadenz, auch im erhabenen Largo des zweiten Satzes klingt jeder einzelne Ton wie aus Marmor gemeißelt, ohne jegliches weihevolles Zerfließen. Im sprudelnden Rondo, im dem Beethoven an vielen Stellen bisweilen beißenden Humor zeigt, springen die Finger kraftvoll über die Tasten des Steinways. Witzig, bisweilen grimmig, spielerisch und rasant pflügt der Finne effektvolle Furchen durch die Klangfelder. Der begeisterte Beifall wird von Henri Sigfridsson mit einer herrlich ausgeglichenen Wiedergabe des zweiten Satzes von Beethoven Klaviersonate Nr. 8 belohnt.

Mit der spät wiederentdeckten Großen Symphonie in C-Dur D 944 zeigt sich Franz Schubert einmal mehr als Überwinder der klassischen Formen. Robert Schumann, der erste Lobredner, sprach von „himmlischer Länge“ und von einem „Gefühl von Reichtum“ angesichts der vier ausgedehnten Sätze. Mit diesem Opus magnum öffnete Schubert weit die Tore in die musikalische Zukunft. Keine geringe Herausforderung für den neuen Leiter der Kammerakademie, doch das Ergebnis konnte sich hören lassen und begeistert in vielen einzelnen Passagen.

Manacorda folgt der Partitur detailliert, arbeitete handwerklich präzise und genau. Das Orchester erscheint in deutscher Aufstellung, nach historischen Modellen mit den Kontrabässen im hinteren Zentrum, während die Pauke dicht bei den Blechbläsern sitzt. Die drei Posaunen, gewissermaßen das Herzstück dieser Symphonie, zeigen viel sonore Präsenz. Besonders lieblich klingen die Holzbläser, allen voran Klarinette und Oboe, die einen Großteil der melodischen Arbeit ausführen. Auch die Flöten in Gestalt historischer Traversen tragen zum betörenden Klang bei. Kummer bereiten allenfalls die gelegentlich vorlauten ersten Streicher, zumal im zweiten Satz. Bei diesem, einem romantisch zerrissenem Paradestück, klingt bei aller Schönheit in Details, manches schablonenhaft und zur sehr der tönenden Oberfläche verhaftet, bis hin zu schmetternden Tumulten. Großartig das Scherzo, erfüllt von stürmisch-flüchtiger Heiterkeit und nervös unterdrückter Walzerrhythmik, die nie ganz zum Ausbruch kommen darf. Mit dem melodisch und harmonisch beeindruckenden vierten Satz geht das Werk in „anmutsvollster Form und trotzdem neuverschlungener Weise“ zu Ende.

Ein umjubeltes Finale zum Auftakt eines neuen Miteinanders.

Babette Kaiserkern

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