Kultur: Annäherungen an einen Dreiecksmaler
Musikalisch-bildnerische Feininger-Soiree im Alten Rathaus
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Muss ein Bild immer eine eingefrorene Momentaufnahme sein? Nein, sagt sich Lyonel Feininger, nordamerikanischer Maler und Grafiker deutscher Abstammung. Er will Bewegung auf Papier und Leinwand bannen. So erfindet er für die „Chicago Tribune“ den Comic, erzählt darin von Kindern, die häuslichen Misslichkeiten per Weltreise entfliehen. Die seinige führt ihn, dem nach elterlichem Wunsch eine Karriere als Musiker vorher bestimmt ist, nach Hamburg. Als er dort landet, weiß er, dass er stattdessen unbedingt Maler werden wird. Also lässt er sich zweckentsprechend ausbilden, arbeitet zunächst als Karikaturist und Illustrator. Von 1919 bis1933 ist er dann am Bauhaus in Weimar und Dessau tätig.
Diese und viele andere Geschichten hält der Berliner Komponist, Leiter der Marzahner Künstlerinitiative „die neue brücke“, Diavorführer und Moderator Kurt Dietmar Richter für seine Annäherung an Lyonel Feininger (1871-1956) bereit. Frei nach Grillparzer nennt er sie „Des Meeres und der Bilder Wellen“ und zeigt sie auf Einladung des Vereins zur Förderung musikalisch-literarischer Soireen im Musikzimmer des Alten Rathauses einem interessierten Publikum vor. Feininger sei, so Richter, im wörtlich zu nehmenden Sinn „ein Mann der Ecken und Kanten“. Und schiebt zum Beweis diverse Ostseebilder mit Strand-, See- und Sturmszenen, Segel-, Dampf- und Kirchenschiffen durch den Projektor.
Alsbald erkennt auch der Laie, dass das vorherrschende Gestaltungselement das Dreieck ist: in einfacher Ausführung erscheint es ihm als verständliches Segelsymbol, mehrfach verschlungen dagegen als Rätselaufgabe. Man kann es drehen und wenden: es bleibt ein flächig-transparenter, dem Kubismus verwandter Stil. Ob Kathedrale, Leuchtturm, Windmühle oder Strand: alles Dreiecke. Selbst die Ostseewellen sind antinaturalistisch gemalt – als eine Aufraffung von Gardinenfalten. Dabei erzählt Feininger stets eine kleine Bildgeschichte, wie die von Sonntagfrüh in einem öde anzuschauenden mecklenburgischen Dorf. Blau und gelb dominieren. Was, musikalisch gesehen, an ein Duo etwa für Violine und Klavier denken ließe, mutmaßt Richter. Und betont in seinen Ausführungen immer wieder die „zutiefst musikalische Gestaltungsbasis“ des bildenden Künstlers und verhinderten Komponisten Feininger.
So könne man drei perspektivisch, farblich unterschiedlich gemalte Segelboote durchaus als Terz deuten. Und weiter: Johann Sebastian Bach sei der musikalische Pate des Malers gewesen. Was der Pianist Andreas Göbel zunächst mit dessen Präludium und Fuge es-Moll BWV 853 (aus dem „Wohltemperierten Klavier I“) belegt, deren melancholische Poesie er mit viel romantischem Spielgefühl zum Ausdruck bringt. Träumerische Sanglichkeit trifft hierbei auf zarte „Harfen“-Akkorde, während sich holde Schwärmerei zur ernsten Betrachtung wandelt. Feiningers Fuge Nr. 1 es-Moll erweist sich streng im Ablauf, prägnant in ihrer Bassbetonung. Einer skurrilen Feiningerschen Regenskizze folgt Claude Debussys „Jardins sous la pluie“ (Gärten im Regen), die Göbel nicht als poetische Metapher ausdeutet, sondern mehr als handfeste Toccata klangklar tastatiert.
Auf des Malers Bildanregungen geht Richters Klavierzyklus „Feininger Impulse“ zurück. Dreiecke gibt es in ihnen nicht zu hören, stattdessen viel Kantiges, Zerklüftetes, Signalhaftes, Marschdonnerndes, Skurriles und Groteskes. Hätte man zu den Stücken nicht die entsprechenden Bilder projizieren können?!
Peter Buske
Peter Buske
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