Kultur: Ans Lagerfeuer
Schmachtbarde Tom Lüneburger in der „fabrik“
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Falling in love: In den 60er Jahren losgetreten, erobern sie immer noch die Bühnen der Welt und die Herzen frischverliebter Pärchen: die Singer-Songwriter. Nicht zu verwechseln mit denen, die im deutschsprachigen Raum Liedermacher genannt werden und in ihren Texten sozialkritische Inhalte zu transportieren versuchen. Dem popmusikalischen Singer-Songwriter geht es um nichts mehr als das Erzeugen einer romantisch-weinerlichen Stimmung.
Wer mal so richtig schmachtend-verklärt kuscheln, knutschen und an die Macht der Liebe glauben wollte, den verschlug es am Donnerstag in die „fabrik“, wo sich mit Lee MacDougall und Tom Lüneburger zwei besonders weichgespülte Barden ein Stelldichein gaben, wobei der zugegeben recht sympathische Engländer MacDougall als Erster für romantische Atmosphäre sorgen durfte. Natürlich darf dabei auch ein Dresscode nicht fehlen: Wer Herzen brechen will, braucht einen verklärten Blick, eine wuschelige blonde Haarpracht und natürlich den obligatorischen geöffneten Knopf auf der Brust. MacDougall macht jedoch nicht mehr, als auf der bereits abebbenden Jack-Johnson-Welle zu reiten. Während er beherzt in die Saiten griff, sorgte der Tontechniker für eine Extraportion Hall auf der Stimme. Daher war es doch gar nicht nötig, dass ihm zeitweilig die Zügel entglitten und er unkontrolliert schrille Brüller äußerte. Als er sich schließlich daran machte, den Radiohead-Klassiker „Creep“ zu verstümmeln, wurde es höchste Zeit, vor diesem Troubadix zu flüchten und sich in der Bar nebenan eine Auszeit zu gönnen.
Als die Zuhörbereitschaft wiederhergestellt war, hatte Tom Lüneburger bereits die Bühne geentert. Lüneburger, vormals Frontmann des One-Hit-Wonders Myballoon, pflegt mit seinem Hornbrillen-Look das klassische Äußere des Berliner Hipsters. Er leistete sich zudem den Luxus, einen Pianisten und Stichwortgeber auf der Bühne zu haben. Lüneburgers Spezialität ist möglichst betroffen zu gucken und auf Englisch zu singen. Warum? Irgendwie drängte sich die Vermutung auf, dass hier weniger auf Internationalität geschielt wurde als auf das Kaschieren unzulänglicher Texte. Aber hier ging es ja nicht um irgendwelche Botschaften, sondern um die Atmosphäre. Im ganzen Einheitsbrei unerfüllter Liebesbekundungen verlor man schnell den Überblick, welcher Song denn schon gespielt wurde und welcher nicht. Die goldene Regel dabei: Auf ein melancholisches Stück lasse man einfach ein ebenso melancholisches folgen. Was Lüneburger fehlt – stellvertretend für eine ganze Generation verweichlichter Romantiker – ist eindeutig Charakter.
Vielleicht sollte man solche Abende, der Stimmung halber, lieber an lauen Sommernächten am Lagerfeuer stattfinden lassen. Oliver Dietrich
Oliver Dietrich
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