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Kultur: Anthropologisch ignorant

Religionslehrer Johannes Schwarte forderte in der arche Bildungsbeauftragten

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„Denn sie wissen nicht, was sie sagen und tun“, sagte der Herr in der grauen Hose und im dunkelblauen Blazer, wissend vom Rednerpult auf die etwas mehr als zehn Zuhörer blickend, in aufrichtiger Empörung. Wenn er zum Beispiel sehe, wie eine junge Mutter ihr Kind im Wagen neben sich schreien ließe, anstelle es einfach in die Arme zu nehmen, dann dauere ihn das Schicksal des Kindes. „Sie“, die nicht wissen, was sie tun, sind offensichtlich die meisten Eltern in unserer Gesellschaft, und was sie vor allem nicht wissen, ist, dass die frühkindlichen Einflüsse enorme Bedeutung für die Persönlichkeitsentwicklung ihres Sprösslings haben.

Jeden Dienstag versammelt sich in der „arche“ eine aktive Gruppe katholischer Christen, um sich einem aktuellen Thema zu widmen. Schon seit Jahren werden streitbare Geister geladen, die ihre Sicht der Dinge schildern. Diese aktive Teilnahme an gesellschaftlichen Fragen erlebte man nun auch mit dem Sozialethiker Johannes Schwarte aus Münster, wenn man der Stimmung am Abend Glauben schenken will, den Beginn einer neuen Bürgerbewegung. Seine Thesen zur „Erweiterung des Horizonts in der Bildungsdebatte“ möchte der Religionslehrer nämlich als Fundament einer politischen Aktivität sehen, die analog zu den Grünen ein Randthema unserer Gesellschaft in deren Zentrum rückt. Wie Umweltbeauftragte solle es auch Bildungsbeauftragte geben. Bildung beginnt bei Johannes Schwarte im „sozialen Uterus“, denn der Säugling käme als „natürliche Frühgeburt“ vollkommen unfertig zur Welt, um von der Umwelt geprägt zu werden. Diese aber begeht Fehler, vor allem aufgrund ihrer „anthropologischen Ignoranz“, nicht wegen zu wenig Liebe, sondern einfach wegen des unwissenden Umgangs mit schädlichen Faktoren, was letztendlich zu den katastrophalen PISA-Ergebnissen führe. Schädlich sei natürlich vor allem der Einfluss des Fernsehens und der „Game-Spiele“, wie man im Falle des Erfurter Amokläufers Robert Steinhäuser auch nachweisen könne. Schädlich sei die Spaßgesellschaft, die nur lache, anstelle Bücher zu lesen, schädlich seien selbstverständlich die Werbung und die Markenfixiertheit der Jugendlichen. Und auch die Mütter, die wegen ihres Drangs zur Selbstverwirklichung die eigenen Kinder vernachlässigen. Denn, so Schwarte, das Wichtigste am „sozialen Uterus“ ist natürlich die Mutter.

So einsichtig manche seiner Thesen klangen, mit denen er, was sich an der lange anhaltenden Diskussion leicht festmachen ließ, einigen Zuhörern aus der Seele gesprochen hatte, so fragwürdig ist vor allem sein eiferndes Reden sowie das Bewusstsein, als einer von wenigen zu wissen, worum es denn gehe. Nicht immer war seine Argumentation logisch. So geißelte Schwarte zunächst einmal den Kinderkanal von ARD und ZDF und die Medienschaffenden insgesamt, um bei seinem Forderungskatalog am Ende lediglich ein durchaus vernünftiges und beim Kinderkanal ja realisiertes Werbeverbot zu fordern. Das nährt den Verdacht, dass es ihm eher um die Durchsetzung seines zutiefst konservativen „Frauen-zurück-an-den-Herd“-Weltbildes geht. Ohne Frage werden durch die PISA-Ergebnisse auch außerschulische Probleme sichtbar und zweifellos benötigen wir eine familienfreundlichere Politik. Doch ob wir damit auch wieder zurück zu restaurativen Ansichten müssen, sollte diskutiert werden dürfen. Lore Bardens

Lore Bardens

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