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Kultur: Antiromantisch

Sinfonisches Osterfinale in der Nikolaikirche

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„Wenn Sie schlecht rezensiert werden wollen, müssen Sie das spielen“, kommentierte Franz Liszt gegenüber seinen Schülern sein Klavierstück „Praeludium über Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen nach J. S. Bach“. Und merkte weiter an, dass es „viel zu süßlich und zahm“ sei und sich manche Pfuscher an dem Übermaß von Dissonanzen sträuben werden. Eine diesbezüglich schlechte Rezension brauchen weder Nikolaikirchenkantor Björn O. Wiede noch seine Neue Potsdamer Hofkapelle fürchten, denn sie spielten beim Abschlusskonzert der Osterfesttage Potsdam 2013 in der Nikolaikirche nicht die originale Klavierversion, sondern die Orgelversion von Liszts klingender Trauerenzyklopädie des Schmerzes „Variationen über den Basso continuo aus der Kantate ‚Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen‘ von Johann Sebastian Bach“. Und zwar in der Orchesterbearbeitung von Leo Weiner, bedeutender jüdisch-ungarischer Tonsetzer des 20. Jh. und Kompositionsprofessor an der Budapester Musikakademie mit besonderer Vorliebe für romantische Komponisten und damit auch für Landsmann Franz Liszt.

In seiner Bearbeitung hat Weiner den wirkungsvollen Farbenreichtum des Klavieroriginals genauso unangetastet gelassen wie die faszinierenden Registrierungsmöglichkeiten der Orgelversion. Und so lassen originelle Kombinationen von Bläserstimmen aufhorchen. Ansonsten ist das Blech für die chromatische, ostinat durchlaufende Basslinie zuständig. Dieses barocke Klangsymbol für Trauer und Schmerz hat Liszt um den Ausdruck von Verzweiflung, Sehnsucht, Fassungslosigkeit, Wut und Hoffnungsschimmer erweitert. Als Antithese zum Leiden ist der Finalchor „Was Gott tut, das ist wohlgetan“ gesetzt. Nur so lassen sich für Liszt die schmerzvollen Verluste von Sohn Daniel und Tochter Blandine verarbeiten. Gleichzeitig sind die „Variationen“ auch eine Hommage an J. S. Bach: gleichsam dessen Geist in Liszts Händen. Die projektbezogene, aus freien wie festen Musikern der Berlin-Brandenburgischen Klassikszene ad hoc zusammengestellte Spielgemeinschaft versteht es, mit tröstlichen Klanggesten, geschmeidiger Sprödigkeit, schneidender Schärfe und trockener Tränentrauer die abgrundtiefen Seelenzustände aufwühlend zu gestalten – bis hin zu gleichsam hysterischen Seelenkrämpfen. Kurzum: ein ständiges Auf und Ab der Emotionen mit viel Seufzermelodik und erfreulich wenig Vibratogebrauch.

Aus dämmerndem Zwielicht des Beginns entwickelt sich Anton Bruckners 6. Sinfonie A-Dur zu einem Lobgesang auf die irdischen Schönheiten, sozusagen des österreichischen Tonsetzers „Pastorale“. Nach kurzem Aufenthalt in kurzphrasierten Gefilden der Streicher bricht typischer Brucknerscher Forte-Schwall herein. Hell getönt ist er, auf faszinierende Weise sehr transparent. Heimeliges Romantikraunen hat da keinen Platz. Leider sind dadurch aber auch notwendiges Gefühl, Wärme und Geschmeidigkeit an den Katzentisch verbannt. Die Neigung der Musiker zu glanzloser und schlichter, aber auch nüchtern wirkender Direktheit ist geblieben. Alles befindet sich in ständig kontrastgestautem Klangfluss. Hemdsärmelige Spötteleien prägen das spukhaft träumerische Scherzo. Sieghaftes Strahlen und Komponistenstolz in heldischer Pose bestimmt das mit mancherlei nachsinnenden Reminiszenzen nicht sparende Finale. Herzlicher Beifall dankt dem Antiromantikabend. Peter Buske

Peter Buske

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