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Kultur: Antiverklärende Botschaften

Oratorienchor sang Magnificat und Weihnachtsoratorium

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Oratorienchor sang Magnificat und Weihnachtsoratorium Den Zahlenspielereien sind fast keine Grenzen gesetzt. Nehme ich alle sechs auf einmal oder nur eins bis drei? Vielleicht aber auch nur vier bis sechs? Überlegenswert wäre sicherlich auch eins, drei und sechs. Nein, hier ist nicht vom Hexeneinmaleins die Rede, sondern von den Kombinationsmöglichkeiten der Kantaten von Bachs „Weihnachtsoratorium“ BWV 248. Für die Aufführungen des adventlichen Kultwerkes in der Friedenskirche entschließen sich Matthias Jacob und sein Oratorienchor, unterstützt von der Kammerakademie Potsdam, für eine andere Version. Dem ersten Teil des „Weihnachtsoratorium“ (Kantate I – III) stellen sie Bachs „Magnificat“ BWV 243 voran, die in der heute gebräuchlichen D-Dur-Fassung (von 1730) erklingt. Einst für die Weihnachtsvesper in Leipzig komponiert, singt und jubiliert es in der Lobpreisung („Meine Seele erhebt den Herrn“) genauso wie im op. 248. Ein guter Grund also, beide chorsinfonischen Werke miteinander zu koppeln. Wie beim Eingangschor der Kantate I verbreiten auch hier die hohen Trompeten, assistiert von wirbelnden Pauken, jene strahlend-frohlockende Festlichkeit, die den Hörer wie ein Rausch der Freude überwältigt. Akzentuiert und hellgetönt musiziert die Kammerakademie, angetrieben von einem innerlich vibrierenden Dirigenten. Wie auf dem Sprung erscheinend, ist er um Lebendigkeit, schlanke Klänge bemüht. Er fordert von den Instrumentalisten jene „ziehende“ Artikulation ein, die der Barockmusik angemessen ist. Was eben noch hell und freundlich tönt, dunkelt sich abrupt ein – die Kammerakademisten wissen, gleich einem Chamäleon, wahrlich um die Wirkung von Klangfarben. Kraftvoll und koloraturenbeweglich, dann wieder rhythmisch scharf skandierend stürzt sich der Oratorienchor Potsdam in das wogende Tonmeer. Dabei fühlen sich die Sänger in einem majestätischen Allegro genauso wohl und intonationssicher wie in einem geheimnisvoll angestimmten Adagio. Im abschließenden „Gloria patri“-Hymnus kommen sie zunächst etwas schwer in Fahrt, um schließlich („Sicut erat in principio“) sehr beweglich von Jubel und Freude zu künden. Darin stehen ihnen die Gesangssolisten nicht nach. Für seine detailgenaue, objektivierende und romantische Interpretationspatina meidende Lesart beider Werke setzt Matthias Jacob auf hell timbrierte, lyrische, leicht bewegliche und schlank geführte Stimmen. Dass es ihrem Singen mitunter an barockem Gefühlsreichtum mangelt, muss man darob leider in Kauf nehmen. Für die erkrankte Kristiane Krauß springt kurzfristig die Stolte-Schülerin Juliane Sprengel ein, die liebreizend die „Magnificat“-Arie „Et exultavit“ singt. Was sich bei den anderen Solisten an antiverklärendem Vortrag und Stimmpräsenz offenbart hat, erfährt seine Fortsetzung in den Kantaten. Jacob lässt sie mehr berichtend denn miterlebend erklingen, weniger die (interpretatorischen) Muskeln spielen als mehr den Geist funkeln. Getreu seiner analytischen Exegese hat stimmliche Schwergewichtigkeit keinen Platz. Weder bei Florian Prey (Bariton) nebst seinem zu unbekümmerten Vortrag der Arie „Großer Herr und starker König“ noch bei Vivian Hanner und ihrem instrumental geführten, metallisch spröde klingenden Mezzo. Die Balance zwischen Gefühl und Distanz findet dagegen Sopranistin Dorothea Rieger, die ganz der barocken Empfindsamkeit vertraut. Im Kontrast zu Jacobs Werkanalyse steht Gerald Hupach (Tenor) mit dem Evangelistenbericht, den er empfindungsbeteiligt, arios, in natürlicher Diktion vorträgt. Herz und Sinne laben sich gleichfalls in der „Frohe Hirten“-Arie. Schlicht und voller Wärme erklingen die Choräle, energisch, mit geradezu drohendem Unterton dagegen das „Jauchzet...“ des Eingangschores. Von Fröhlichkeit tönt es erst im weiteren Verlauf der drei Kantaten. Peter Buske

Peter Buske

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