Von Gerold Paul: Apfel kann schließlich jeder Schillers gesammelte Werke im Theaterschiff
Die Zeiten sind ja heute total verrückt, genauso verrückt wie die Uhr, die immer schneller zu laufen scheint. Trotzdem bleibt ein Versprechen noch immer ein Versprechen, koste es auch, was es da wolle.
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Die Zeiten sind ja heute total verrückt, genauso verrückt wie die Uhr, die immer schneller zu laufen scheint. Trotzdem bleibt ein Versprechen noch immer ein Versprechen, koste es auch, was es da wolle. Die Klassik zum Beispiel, die hohe heilige Klassik, das olympische Mass aller Kultur, das hehre Fundament jedes eingebildeten Mitteleuropäers. Und dann diese Hetzerei, der schnöde weltliche Anspruch, „Schillers gesammelte Werke in neunzig Minuten“ über die Bühne zu rammeln, wie andere einst den ganzen Shakespeare in der Kürze der Zeit!
Zum Schiller-Jahr 2005 hat es das Berliner „Theater Furioso“ versucht, fünf Jahre später steht dieses Opus ausgerechnet am Osterwochenende auf dem Gastspielprogramm des nimmermüden Theaterschiffes! Klassiker behaupten ja, es gäbe nur eine einzige Zeit, die klassische eben. Im Dauer-Clinch gegen die stets bühnenpräsente Uhr beackerten die einzigen Ensemblemitglieder Moritz Röhl und Wolfgang Gundacker zwar nicht alles, was der sturmerprobte Wahl-Weimarer je auf sein Papier gebracht, zumindest aber vom Wichtigsten etwas.
Was da aus dem „Carlos“, der „Jungfrau von Orleon“, aus „Fiesco“ und „Maria Stuart“ gespielt, parodiert, rezitiert, komprimiert, persifliert oder auch bitteren Ernstes genommen, durch Puppenspiel erhöht oder durch Bänkelgesang erniedrigt wurde, war höchst kurzweilig und stets amüsant.
Regisseur Reinhold Koch, selber einer aus Weimar, wollte seine Klassik trotzdem ernstgenommen wissen, nur eben nicht so todernst und hochdramatisch wie das Volk der buchstabengetreuen Philologen. Das volle Theaterschiff am Samstagabend beflügelte die beiden Spieler zusätzlich, so dass ihr Publikum für die Kurzfassung von „Wilhelm Tell“ nicht nur die animalische Tonkulisse zu liefern hatte, sondern noch einen jungen Mann aus dem Parkett, um das Ding mit Hut und Stange oben mitzuspielen. Wer dann die „Hohle Masse“ war, ist leicht zu erraten. Es ging ja auch nicht um die klassische Frucht, sondern um Orangen: „Apfel kann schließlich jeder“!
Natürlich flicht die Nachwelt diesem Mimen keine Kränze, aber eine Gaudi war es trotzdem. In fast schon wieder klassischer Kongenialität sah man den zweiteiligen Wallenstein und die „Räuber“ in einem Stück, „Don Carlos“ in steter Furcht nicht vor der Inquisition, sondern vor der „Respiration“. In einem ganz groß bemützten Auftritt erlebte man auch die Mär von der „Bürgschaft“ stellvertretend für das gesammelte Balladenschaffen des Dichters, der ja ohne den Geruch fauliger Äpfel in der Schublade keine Zeile zuwege brachte.
Keine Frage, sowohl die „germanistische“ Vorarbeit als auch die theatralische Darbietung waren ganz fabelhaft, meisterlich eben: Einen „Klassiker“ bis zur Wiedererkennung zu vertikulieren und zu komprimieren, ist gar nicht so einfach. Ob die „hohle Masse“ nun auf die Idee kam, mal wieder ins papierne Original zu schauen? Die gefundene Form parodiert ja die eilige Botschaft der Gegenwart selbst, wo alles kurz und schnell und witzig sein soll. Dies war freilich auch der Hinkefuß der lustigen neunzig Minütchen, denn im Endspurt, im Kampf mit der Uhr, ging es den Darstellern nur noch darum, die vereinbarte Zeit einzuhalten. Bei solchem Gehetzte verlor man den doppelte Boden. Es war nur noch wie Sport, oder TV. Weder donnernd noch klassisch zuletzt der Applaus, der war eher gemächlich.
Gerold Paul
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