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Kultur: Archaisches aus dem Höhlenkloster

Chor des Moskauer Patriarchats sang im Nikolaisaal

Stand:

In schlichten schwarzen Mönchskutten und gemessenen Schritts kommen sie auf die Bühne, die zwölf Mitglieder des berühmten Chores des Moskauer Patriarchats, um als „Stars international“ in der gleichnamigen Nikolaisaal-Reihe für Furore zu sorgen. Den ersten Teil bestreiten die asketisch Erscheinenden mit A-cappella-Gesängen aus der russisch-orthodoxen Weihnachtsliturgie, speziell der „Vigil zur Weihnacht“ aus dem legendären Kiewer Höhlenkloster. Gesungen wurden sie einst „in der achten Stunde der Nacht“, also um zwei Uhr in der Frühe. Da brauchte es schon einer guten körperlichen und stimmlichen Kondition, um die Stundengebete erklingen lassen zu können. Ihre Nachfahren verfügen darüber, wie der von Anatoli Grindenko geleitete und natürlich zu zivilen Zeiten stattfindende Auftritt im leider nur mäßig besetzten Großen Saal bewies.

Im prononciert-psalmodierenden Redetonfall stimmen sie mit ihren kraftvollen Stimmen das einleitende Invitatorium (Aufforderung an die Gläubigen zum Lob Gottes) an. Wer sie noch nicht kannte (der Chor trat schon 1996 bei den Musikfestspielen in der Friedenskirche mit sensationellem Erfolg auf!), ist von der vokalen Prägnanz und Ausdrucksfülle unwillkürlich in ihren Bann gezogen. Den anschließenden Eingangspsalm („Herr, mein Gott, wie bist Du so groß“) eröffnet ein bassmächtiger Vorsänger (als Diakon), dem der Chor antwortet. Dazwischen jubiliert ein „Lektor“ mit hinreißender tenoraler Strahlkraft. Diese wechselsingenden Anrufungen ziehen sich durch alle Vigil-Teile.

Dabei erfolgt das Zusammenklingen und -schwingen der Stimmen mit jener phänomenalen Intensität, wie man sie von russischen Chören jeglicher Couleur seit jeher kennt. Faszinierend, wie rein die Stimmen klingen, mit welcher absoluten Sicherheit die Töne getroffen werden. Immer wieder scheint es, als sängen sie Weihrauch, als suggerierten sie die goldglänzende Ikonostase eines orthodoxen Gotteshauses, weihevolle Patriarchen in ihren prächtigen Priestergewändern, unzähliges Kerzenflackern und -flimmern Kurzum: Musik und Raum werden unwillkürlich eins. Mit kaum wahrnehmbaren Zeichen dirigiert Anatoli Grindenko die Sängerschar sicher durch die christmettenähnliche Einstimmung auf Weihnachten.

Größtenteils sind es traurige und getragene Gesänge, in denen sich die Seele offenbart. Doch welchen tiefgründigen Ausdruck vermögen die zwölf Sänger des Moskauer Patriarchats ihnen zu entlocken! Allein die Variationen der ständigen Halleluja-Anrufungen in der „Psalmodie“ machen einen staunen. Ob „Vesperhymnus an Christus“, „Feierliches Vespergebet“ oder „Weihnachtssticheron“ – von ihrem verinnerlichten und geradezu archaischen, dann wieder leidenschaftlich bewegten und klangfarbenreichen Gesang geht eine bezwingende Wirkung aus. Die Sinne orten plötzlich winzige dynamische Veränderungen im scheinbar so monotonen Ablauf, wie den unentwegten, fast einschläfernden Anrufungen „Gospodin pomilu“ eines Kontrabassisten. Tiefer geht’s nimmer.

Dieser spirituellen Versenkung folgen altrussische Lieder aus der Feder von Peter Tschaikowsky, Nikolai Rimski-Korsakow oder Anton Arensky, in denen der Chor sich von seiner geschmeidigen, weich und warm getönten Seite nebst faszinierender Pianissimokultur zeigt. Kräftig hinlangen kann er aber auch hier. In altrussischen Volksweisen geht er dann gänzlich aus sich heraus, lässt – obwohl ein Kirchenchor – seine Muskeln auf temperamentvolle Art spielen. Der Beifall brandet, die Zugaben folgen: Kosakenlied, Lied von den zwölf Räubern Gemessenen Schritts gehen sie schließlich von der Bühne.Peter Buske

Peter Buske

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