Kultur: Armut macht glücklich
Michael Ranz und Edgar May mit neuem Programm im Kabarett Obelisk
Stand:
„Esse“ bedeutet im Lateinischen nicht nur „Sein“, Essen und Sein sind letztlich identische Begriffe. Vor diesem, zugegeben etwas existentiellen, Hintergrund war man auf das neue Programm des bekennenden Bauernhof-Betreibers und brillanten Satirikers Michael Ranz und seines mitsingenden und mitspielenden Pianisten Edgar May genauso neugierig wie alle anderen Premierenbesucher, welche am Sonnabend das „Obelisk" bis auf den letzten Platz füllten. Anzug und Binder auf einer undekorierten Bühne gaben dem fast zweistündigen Auftritt des Duos einen recht vornehmen Charme, wenn auch die Umgangssprache, vom Hochdeutsch über Wienerisch bis zur Zungenbreite Sachsens, zum Parkett hin zwischen „Du“ und „Ihr“ schwankte.
„Iss wenigstens das Fleisch“ bezeichnet ein Wohlfühlprogramm für Macher und Publikum, darin herzlich viel gelacht werden darf, wo die Damen ob der überraschenden und vorzüglich gesetzten Pointen sogar ungeniert juchzten, der Beifall keine Grenzen kannte und eigentlich alles paletti war, was Kabarett oder Satire überhaupt leisten darf.
So kann man in den Zeiten permanenter Fleischskandale dem ungeliebten Besuch schon mal sagen: „Iss wenigstens das Fleisch!“, welches man – wohlmöglich –- mit einem DDR-EVP-Preis gerade aus der Tiefkühltruhe fischte. Mag das Gemüse liegen bleiben! Lakonisch und makaber schillerte das ganze Programm, essen ist schließlich Jedermanns-Sache. Weil hierzulande niemand hungern muss, geht“s mit teils hanebüchenen Denkkunstruktionen mehr ums Detail: Schütte Kakao „Glückshormone“ aus, so müssten die ärmsten Länder ja auch die glücklichsten sein. Oder wenn der Mensch zu 70% aus Nässe besteht, dann würden mit vier Millionen Arbeitslosen sage und schreibe 250 Millionen Liter Wasser auf der Straße herumlaufen. Schön gerechnet, aber was mochten solche Worte bedeuten? Eher barbarisch sieht Ranz die Esskultur des alten Westens, da wurden Nudeln halbgar (al dente) verspeist und banaler Löwenzahn als „Edelgemüse Rucola“ verkauft, von rohem Fisch (Suchi) ganz zu schweigen. Nicht mal ein deutsches Jägerschnitzel (panierte Jagdwurstscheibe) kannten die! So elegant kann man die alte Ossi-Schiene bedienen. Michael Ranz macht das – Binder ab, Binder um – auf ganz professionelle Art: Er singt seine Songs (erstklassig Otto Reutters „Überzieher“), indem er sie spielt, er stellt seine Soli mit der großen Kunst von Mimik und Gestik so geschickt dar, dass man ihm einfach folgen muss, etwa im ätzend-scharfen Beitrag zum „Dienstleistungsunternehmen Kirche“ vor der Pause, wo er mit gewaltigem Pathos ausrief „Brüder und Schwestern, kauft nun unsere CD!“ Jede Pointe ein Lacher.
Das Lokalkolorit war dafür unterbesetzt, die Beiträge zur aktuellen Politik kamen oft als Anmerkung vor. Er empfahl der Regierung, ihre Beschlüsse in der Kellerbar des Bundestages zu ventilieren, sehr rechtens geriet Ursula van der Leyen ob ihrer US-Mainstream-Politik in die Kritik. Schon war man wieder beim Essen: Frauen gelten als Genuß-Stocherer, Männer als Würgschlinger, unfähig, ihren Teller vom Gelüst der Liebsten freizuhalten, es sei denn, man bestellte Eisbein. Allgemeinmenschliches in Zeiten der Sattheit also. Fast zuletzt das Lob auf die Überlebenskunst der Kakerlake Jean, ein Kabinettstück!
Hoher Unterhaltenswert, bissig-lakonischer Zugriff diesseits der Existenz, brillante Darstellungskunst bescherten dem Duo einen Riesenapplaus – bon appetit!
Gerold Paul
Nächste Vorstellungen morgen und am 17. 1., 19.30 Uhr, im Kabarett Obelisk
Gerold Paul
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