Kultur: Artifizielles trifft wenig Sinnstiftendes
Eröffnung des „intersonanzen“-Klangfestes für neue Musik im Alten Rathaus
Stand:
Pfeilschnell zuckt erst der rechte, dann der linke Zeigefinger vor. Dann kreiseln die Hände umeinander, geben ausgebreitete Arme deutliche Richtungszeichen. Andere Gesten scheinen der Taubstummensprache entnommen. Dabei sind die Fünftklässler der Karl-Foerster-Schule Potsdam alles andere als stumm oder taub. Eher aufgeweckt und quirlig. Bei einem Workshop „Improvisation durch Soundpainting“ unter Leitung von Sabine Vogel hatten sie zuvor gelernt, wie man alle diese Zeichen kreativ in Klang verwandeln kann. Zur Eröffnung des Brandenburgischen Festes der neuen Musik „intersonanzen“ führen sie es im Theatersaal des Alten Rathauses vor.
Dieser erste Tag steht ganz im Zeichen von Jugendlichen, die in die Geheimnisse der zeitgenössischen Musik einzudringen versuchen. Ein hoffnungsvolles Zeichen. Größtenteils geht es in diesem wie improvisiert wirkenden, dennoch organisierten Klangchaos laut, spontan und rhythmisch präzise zu. Die Kinder sind ganz bei der Sache, produzieren Geräusche, versuchen sich im Breakdance, als Rapper im Umgang mit dem Mikro Der Fantasie und tollen Stimmung sind dabei keinerlei Grenzen gesetzt. Bei der fälligen Zugabe wird das zahlreich erschienene Publikum gar zum Mitmachen animiert. Wie das klappt!
Danach erklingen Preisträgerstücke des Wettbewerbs „Jugend komponiert“ von 2006, der unter dem Motto „Hommage à Mozart“ ausgeschrieben war, sowie Novitäten von Studenten des Instituts für Musik und Musikpädagogik der Universität Potsdam. Allesamt sind es kurz gehaltene Stücke, die sich modernem Zeitgeist verpflichtet fühlen. Erfreulich sinnstiftend und seelenöffnend zeigt sich „Eudaimonia“ für Klarinette, Violoncello und Klavier von Robert patný (geb. 1981), das zwischen laut und leise, langsam und schnell, motorisch und elegisch für abwechslungsreiche Entwicklungen sorgt. Sehr originell auch „Sternendämmerung“ für E-Gitarre und Klavier von Marc Godau (geb. 1981), in seiner Mischung aus Universumsrauschen und melodiösem Lied ein hörenswertes Stück moderner Barock-Romantik.
Laut und dissonant zeigt sich dagegen „Outnumbered“ für Bläserquintett von Kaspar Querfurth (geb. 1990), das auf Mozarts c-Moll-Klavierkonzert KV 491 basiert. Auch die anderen bläserischen Neutönereien, darunter viel konstruiert Wirkendes wie Marcus Merkels „Cogitata de Amadeo“ (Notenreihe aus Mozarts vertonbaren Namensbuchstaben) oder Daniel Schellongowskis „W = ma + 10“, Marianne Richters „Bläsertrio“ mit seinem „Cosi fan tutte“-Zitat, werden vom Ligeti-Quintett mit hinreißendem Engagement, tonaler Brillanz und technischer Bravour gespielt. Zur Entspannung kann man danach unter dem Motto „HörZeit unterm Atlas“ im Turm gemütserheiternden Klangcollagen und Soundscapes von Klangkünstlern der Region lauschen.
Solcherart gestählt geht es in die dritte Runde, die dem Trio „Nexus“ (Klavier, Flöte und Schlagwerk) und Neuntklässlern des Ev. Gymnasiums Hermannswerder reiche Möglichkeiten zur interaktiven Aktion bietet. Als im Raum verteilte Stimmen kommentieren die Schüler die floskelhaften, pausenreichen „16 Stücke für drei Instrumente“ von Peter Ablinger (geb. 1959): „ich höre leise Schritte“, „ich höre das Summen von Scheinwerfern“, „ich höre leises Gähnen“ Und was denkt der Kritiker über diese Uraufführung? „Ich langweile mich“.
Putzig hört sich „shopping 2.1“ von Michael Maierhof (geb. 1959) an, eine Performance für 16 Luftballonspieler. Die erzeugen, schnell und langsam über die luftpralle Hülle gleitend, mit Handflächen, mit trockenen oder nassen Fingern Quietschvariationen, angeleitet sogar von einem Dirigenten. Als solcher verhilft der avantgardistische Altmeister Friedrich Schenker (geb. 1942) seinem für das Trio „Nexus“ entstandenen, perkussiv angelegten Stück mit schamanengleichen Dirigierbeschwörungen zur erfolgreichen Uraufführung.
Vehement greift der Pianist immer mal wieder ins Saitengedärm, schrillen diverse Flöteninstrumente bis zum Alt, schlegelt sich die Schlagzeugerin mit großem Körpereinsatz durch ihren Part, während die Schulklasse mit an- und abschwellendem Vokalisengesang sowie mit Variationen von Zischlauten in Erscheinung tritt. Was unwillkürlich an die verrücktesten Creationen der Haute Couture denken lässt, die auch kein normaler Mensch tragen kann.
Peter Buske
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: