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Kultur: Ästhetik der Zerstörung

„Apokalypse“ – Kriegsfundstücke werden bei Wolfgang Brecklingshaus zu Installationen

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„Apokalypse“ – Kriegsfundstücke werden bei Wolfgang Brecklingshaus zu Installationen Von Matthias Hassenpflug Krieg ist eine alte verschlagene Hure. In Jahrtausenden konnte sie ihre Verführungskunst ausfeilen, der bis heute die Männer gebannt erliegen. Ihre schmeichelnde Schönheit steckt in der Ordnung der Truppen in Uniformen, im Glanz der Waffen, im Einklang des Willens von Tausenden zur Zerstörung. Diese Hure benebelt mit der Ästhetik des Schreckens. Sie arbeitet zur Zeit im Irak oder in Afrika. In Afghanistan und im Kosovo tat sie Dienst. Wolfgang Brecklinghaus, Architekt und Objektkünstler aus Recklinghausen, hat sich zur Lebensaufgabe gemacht, dem Krieg die Maske der Schönheit zu entreißen. Im Alten Rathaus zeigen seine 54 Arbeiten mit dem Ausstellungstitel „Apokalypse“ Collagen und Objekte, aus dem, was die Kriegshure nach verrichteter Arbeit auf ihren Schlachtfeldern zurücklässt. Seine Bildobjekte bestehen aus Fundstücken und Waffenschrott. Metallteile, wie Gewehrkugeln, Patronenhülsen oder -gürteln bezieht e r vom Munitionszerlegungsbetrieb, das „Stoffliche“, also Zeltplanen, Uniformteile oder Knöpfe sammelt ein befreundeter Museumsbesitzer mit seinem Detektor auf belgischen Kriegsschauplätzen ein. Brecklinghaus sagt von sich, er wolle um Gottes Willen keine Philosophie betreiben. Seine Assemblagen sollen einfach den Zynismus des Krieges mit dem Zynismus der Kunst beantworten. Auch Brecklinghaus“ Objekte folgen den Gesetzen der Schönheit: alte messingfarbene Projektile werden auf einer Tafel in Fünfergruppen mal senkrecht und waagrecht zusammengefügt. Ein serielles Muster entsteht, in das der frappierend makabre Gedanke eingewebt ist, wie viele der alten Geschosse wohl den Tod brachten. Das individuelle Schicksal wird umso anschaulicher, je abstrakter die Komposition ausfällt. Eine Reihung von Patronengürteln, die von Maschinengewehren stammen, sind in pittoresken Linien übereinandergelegt. Sie sind unterschiedlich verrostet, je nachdem, ob sie in einem Tümpel oder in der Erde gefunden wurden. Nun muss sich der Betrachter entscheiden: ist es abschreckend oder doch schön? In seiner Abstraktion entrückt der 1948 Geborene zunächst Leid und Zerstörung und führt sie hinüber in die Formen der heutigen Ausstellungsgewohnheiten. Aber die auf rechteckige Tafeln aufgezogenen Uniformen und Armeetaschen schütteln dadurch ihre individuelle Botschaft nicht ab. Jede Tasche und jede Schnalle ein Soldat, jeder Soldat ein Verlust. Brecklinghaus, der sich bei seinen intuitiv gestalteten Objekten als Architekt von der klaren Formensprache des Bauhauses leiten lässt, sammelt seine Gegenstände eher in Wut als mit Leidenschaft. Seine Arbeiten versteht er als Botschaft, die er oft mit einem markanten Titel unterstreicht. „Agonie“, „Rhythmisches Töten“ oder „Kriegsmaschinerie“. Wenn er sich in seinem Atelier länger als drei Wochen mit den Überresten des Krieges beschäftigt hat, so sagt er, deprimiere ihn das, so dass er eine Pause einlegen müsste. Mag sein, dass manche Aussagen, wie von der „Kriegstaube“, die sich schon in ihrer Farbigkeit von den sonstigen Objekten in naturbelassenen Holz-, Rost- und Olivtönen unterscheidet, ein wenig zuviel Fingerzeig, Symbolik und Anti-Kriegs-Gestus enthalten. Aber jemand, der die kleinen Keime, die sich in leeren Patronenhülsen breit gemacht haben, sammelt und in kleine Schaukästen mit „Fragmenten der Erinnerung“ einbaut, der lässt sich von der alten Hure Krieg ganz bestimmt nicht verführen. „Solange ich Einfluss mit diesen Arbeiten habe, mache ich weiter“, sagt der Objektkünstler. Über vierzig Ausstellungen hat er bereits ausgerichtet, die ihn bis nach Antwerpen geführt haben. Material hat Wolfgang Brecklinghausen noch für Jahre.

Matthias Hassenpflug

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