Kultur: Atemlos
Andreas Dresen stellte im Thalia seine „Wolke 9“ vor – eine Ode an die Liebe und den Sex im Alter
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Andreas Dresen lüftet die Bettdecke – ungeniert und voller Schwung. Nichts wird versteckt: nicht das Alter, nicht die Begierde, nicht die Angst. Sein Film „Wolke 9“, der am Montag Abend im ausverkauften Thalia beim Aktuellen Potsdamer Filmgespräch seine Premiere feierte, ist eine klangvolle Ode an die Liebe und Vitalität reifer Menschen. Der Potsdamer Regisseur, bekannt für seine tragikomischen Alltagsgeschichten, eckt an. Unsentimental und rigoros richtet er seinen Fokus auf eine Tabuzone, auf den ungeschminkt schönen Sex auch im Alter. Ihn interessieren weder Falten, Altersflecken, noch welke Haut. Die gehören eben dazu. Doch was passiert im Inneren, wenn eine Frau, Ende 60, noch einmal Schmetterlinge im Bauch hat, und sich den Mann ihrer späten Träume einfach schnappt: atemlos und wild, mitten auf dem Teppichboden. Doch die Reue folgt auf dem Fuß. Denn Inge ist seit 30 Jahren verheiratet, mit Werner (Horst Rehberg), ihrem treuen, warmherzigen, einfühlsamen Kameraden, den sie ebenfalls liebt. Auf andere Weise.
Ursula Werner spielt die Zerrissenheit Inges mit einer uneitlen, anrührend-ehrlichen, mitreißenden Emotionalität, die mitunter den Hals zuschnürt. Man spürt fast selbst den Seelenschmerz, der ihren ganzen Körper erfasst und unsanft zwischen den Wogen hin und her schleudert. Doch Inge kann auf ihre neue Liebe Karl nicht verzichten. Und leidet um so mehr mit Werner.
Ihre Küche, wo seit Jahrzehnten alles seinen vertrauten Platz einnimmt, das Frühstück unter den zwei Wandtellern ein unverrückbares Ritual ist, wird plötzlich zum Käfig. Wie ein verwundetes Tier schleicht sie zwischen den zusammenrückenden Wänden, die sie zu erdrücken drohen. Denn ihr Werner, mit dem sie all die Jahre teilte, versteht sie nicht mehr. Seine lautstarken Beschimpfungen angesichts ihrer Liebesnot münden in ein resigniertes Verstummen und sind wie eine Totenmesse auf ein am Ende gescheitertes Glück.
„Die Geschichte muss ein dramatisches Ende nehmen. Alles andere wäre verlogen. Man kann im Alter natürlich die gleichen hochfliegenden Gefühle haben. Aber die Konsequenz, mit 70 jemanden zu verlassen, ist anders als mit 40,“ sagt Andreas Dresen. Dieser Ausgang gehörte mit zu den wenigen Eckpfeilern, die er bereits im Kopf hatte, bevor er mit seinem kleinen Team durch Improvisationen den Film Satz für Satz erarbeitete. Die Kamera immer mittendrin.
Horst Westphal, der den bald 80-jährigen Liebhaber spielt, erzählt im Gespräch mit Knut Elstermann, dass er durch den Film Opposition betreiben wolle: „Gegen eine Haltung, dass man ab 50 nichts mehr leisten kann und nur noch mit Muttern Dampfer fährt. Es gibt in unserem Land immer mehr Alte, aber wer weiß schon, wie sie wirklich leben?“ Sie hätten sich vor den Dreharbeiten eine Menge Filme angesehen, in denen sich reifere Leute lieben. „Aber so gefiel es uns nicht. Wir wollten offen zeigen, wie es wirklich zugeht, aus eigenen Erfahrungen sprechen. Und es ist ja nicht so, dass man das, was im Bett passiert, unter Ulk verbuchen muss.“ Gerade deshalb konnte er wohl auch den Witz des Films zum Besten geben: „Weißt Du, wie 80-Jährige miteinander vögeln? Sie macht Kopfstand und er hängt ihn einfach oben rein.“ Herrlich, wie er in der Wiederholung von Ursula Werner plötzlich wirklich witzig wird.
Für Dresen stand fest, dass Nacktheit und Sexualität explizit vorkommen sollten, „nicht in Sepia gefärbt und auch nicht versteckt unter Laken.“ Horst Westphal bekannte, dass er durchaus Schiss gehabt hätte. „Wir wussten nicht, ob wir es zustande bringen würden und brauchten einen Regisseur, Kamermann und Schnittmeister zur Seite, die uns nicht verraten.“
Er hatte sich für die Figur des Karl seine eigene DDR-Geschichte aufgeschrieben. „Doch nichts davon wird gezeigt. Ich habe aber dadurch zu mir und zur Figur gefunden.“ Westphals Angst, nur immerzu das Höschen fallen zu lassen, ist allerdings nicht ganz unbegründet. Am Ende wird man der Nacktszenen schon etwas überdrüssig. Da hätte ein wenig mehr biografische Verortung seiner Figur noch anderes „Fleisch“ gegeben. Sicher, die mit vielen harten Schnitten vorwärts treibende Erzählweise funktioniert auch so, denn Dresen unterfüttert sie mit vielen spannenden Details, die die Wachsamkeit ständig schüren. Dabei bemerkt man nicht einmal, dass es keine Musik gibt. Die Geräusche von Kaffeemaschine, Kirchenglocken und Zügen geben den Takt des Lebensrhythmus an, ebenso wie Inges Chorproben bei den „Singenden Tausendfüßlern“.
„Wir erzählen mit vielen Auslassungen und es gibt nur einen ,Schatten der Vergangenheit“, unterstreicht Dresen sein Konzept. Statt sozialer Einbettung ging es ihm um die momentane Präsenz. „Die Figuren sind da, wo sie für den Film nötig sind.“ Und so sieht man eine Frau wie ferngesteuert ihrem Seximpuls folgen und später eine halbe Filmstunde lang ihren Gefühlen wieder davon rennen.
Zunehmend vergisst man, wie alt die Figuren eigentlich sind. Sie rücken immer näher und man fühlt und bangt mit jeder gleichermaßen. Dadurch wird der feinsinnige, genau beobachtete und mit kleinen Pointen unterlegte Film über die Urgewalt der Liebe, wenn man nicht mehr mit ihr rechnet, auch für jüngere Generationen spannend. „Man altert physisch, aber nicht in der Seele“, sagt Dresen. Doch die Uhr schlägt im Alter einfach schneller. Und so münden Werners Reisen auf geordnet geglaubten Bahnen ungebremst auf dem Abstellgleis. Für ihn ist die Fahrt beendet.
„Wolke 9“ kommt ab 4. September in die Kinos.
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