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Kultur: „Atemloser Häppchenjournalismus“

Der Medienwissenschaftler Leif Kramp liest heute in Potsdam aus dem Buch „Die Meinungsmacher“

Stand:

Herr Kramp, in Ihrem Buch „Die Meinungsmacher“ prangern Sie die Verwahrlosung des Hauptstadtjournalismus an. Jeder schreibe von jedem ab, es werde kaum noch recherchiert. Selbst die seriösen Qualitätsmedien befänden sich auf einem schmalen Grat zwischen Boulevard, Show und Performance-Journalismus. Ihr Buch ist zwei Jahre alt, glauben Sie, wir Journalisten haben schon gelernt?

Es wäre vermessen zu sagen, die Branche hätte aus einer Buchveröffentlichung gelernt. Ziel unseres Buches und der vorhergehenden Studie war, eine aktuelle Bestandsaufnahme über den Hauptstadtjournalismus zu liefern. Das, was wir als problematische Entwicklung bemerkt haben, geht auf verschiedene Ursachen zurück, vor allem aber auf die Beschleunigung der Arbeitsweisen im Journalismus durch den digitalen Medienwandel. So verändert sich die Nachrichten-Agenda nicht mehr täglich, sondern stündlich. Da müssen Journalisten mithalten. Das können sie immer besser, das liegt aber nicht an unserem Buch, sondern am routinierteren Umgang mit den veränderten Arbeitsbedingungen.

Also hat sich doch etwas getan?

Im Grunde gibt es tatsächlich eine Besserung. Es ist eine zunehmende Professionalisierung zu beobachten. Trotzdem bleiben die Hauptstadtjournalisten in einer Art Hamsterrad gefangen. Man kann keine Reflexion, keine Qualität im Sinne des durchdachten, sorgfältigen Journalismus und sorgfältiger Recherche liefern, wenn man unter dem immensen Zeitdruck steht, der unter den elektronischen Medien grassiert.

In Ihrem Buch, das sie heute Abend in Potsdam vorstellen, klagen sie auch über Redakteure, die auf Galadinners die Nähe zu Politikern und Wirtschaftsbossen suchen und gemeinsam Austern schlürfen. Neu ist das aber nicht: Schon Adenauer lud Journalisten zum Tee, um sie einzuschwören.

Der Journalist hat ständig mit dem Dilemma zu kämpfen, nah dran sein zu müssen am politischen Geschehen und seinen Akteuren. Man wird von der Nähe zur Macht verführt. Es ist ja auch etwas Tolles, wenn man die Bundeskanzlerin persönlich kennt und glaubt, dass sie einen selbst auch kennt. Trotzdem muss man eben die professionelle Distanz halten, weil der Journalist wissen muss, dass er unabhängig zu sein hat. Als Journalist startet man ja in den Beruf mit mehr oder weniger hochtrabenden Idealen, fühlt sich integer und unbestechlich – zumindest haben wir das bei den meisten befragten Journalisten festgestellt.

Schaffen es Journalisten, ihre Ideale zu verwirklichen, die Distanz zu halten?

Immer schlechter. Sie haben Adenauer schon erwähnt – es ist kein neues Phänomen, dass zwischen Medien und Politik gekungelt wird, weil beide in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis stehen. Die Journalisten brauchen Informationen, möglichst exklusiv. Die kann man nur durch Netzwerke in die Politik und vor allem durch persönliche Kontakte zu Politikern bekommen, nicht zu vergessen zu ihren Sprechern. Andererseits sind die Politiker auf Medienpräsenz angewiesen, auch wenn besonders in Wahlkampfzeiten gerne versucht wird, die Nachrichtenmedien zu umgehen und über Blogs, Twitter und Facebook den Bürger direkt anzusprechen. Der Großteil der Journalisten schlürft keine Austern mit Politikern, allenfalls sind das führende Alphajournalisten, die gerne in Talkshows auftreten. Dabei handelt es sich um eine Publizistenprominenz, die sich auf Augenhöhe mit den Politikern fühlt. Das kann problematische Züge annehmen.

Warum?

Weil sich der Journalismus dann mehr um die eigene Person, die eigene Wichtigkeit dreht als um Inhalte.

Nehmen wir die Affäre Wulff. Nähe zur Politik ist das eine: Gerade der Fall des früheren Bundespräsidenten ist doch ein Beispiel dafür, dass Medien trotz gefühlter Nähe unberechenbar bleiben?

Das stimmt. Natürlich versuchen sowohl die Medien als auch die Politik jeweils für sich die Oberhand zu behalten. Wenn es um Exklusivität geht, wird auf vermeintliche Absprachen oder gefühlte Freundschaften keine Rücksicht mehr genommen. Das lässt sich am Beispiel Wulff und der Bild-Zeitung gut illustrieren: Wulff war gern gesehen, als es darum ging, möglichst private Details um seine neue Frau Bettina zu veröffentlichen. Wulffs Trennung von seiner ersten Frau wurde milde behandelt. Er wurde solange positiv begleitet, wie es sich lohnte, wie es für den Leser populär erschien. Als es interessanter wurde, ihn fallen zu lassen, konnte er sich nicht mehr auf die Bild verlassen.

Dann ist das Vertrauensverhältnis zwischen Journalismus und Politik gebrochen?

In weiten Teilen ja. Nehmen wir die Hintergrundkreise: Diese informellen Gespräche sind eine völlig gerechtfertigte Recherche- und Austauschmöglichkeit zwischen Medien und Politik, um an Informationen abseits der öffentlichen Bühne zu gelangen. Aber es wird immer wieder berichtet, dass dieses System der Vertraulichkeit gefährdet ist. Im Exklusivitätsdruck wird das Vertrauen gebrochen. Da wird geflüstert, doch veröffentlicht oder dem Kollegen berichtet, der nicht teilgenommen hat. Dadurch ist es so, dass Politiker gar nicht mehr offen reden.

Aber die Politik nutzt diese Kreise, um Informationen gezielt zu streuen?

Aber das ist auch das Problem: Natürlich wurden noch nie Staatsgeheimnisse in Hintergrundkreisen verraten. Doch viele Politiker gehen heute wie selbstverständlich davon aus, dass alles, was sie sagen, potenziell veröffentlicht wird. Von daher unterscheidet sich ein solches informelles Gespräch kaum von einer Pressekonferenz. Der Mensch hinter der Politikerfassade wird nur noch selten kenntlich. Insgesamt gibt es in vielen Redaktionen ohnehin zu wenig Zeit für Recherche. Das sind Probleme, die auf die Medien- und die allgemeine Wirtschaftsentwicklung zurückzuführen sind.

Zwar handelt Ihr Buch vom Hauptstadtjournalismus, aber wie groß ist der Spielraum in den Medien allgemein?

Die Verhältnisse bieten nur begrenzten Handlungsspielraum. Durchdachter Recherchejournalismus kostet Zeit und Geld. Aber das ist möglich. Einige Zeitungshäuser machen das vor und haben gesonderte Rechercheeinheiten eingerichtet. So idealistisch das klingt: Es geht darum, möglichst in jedem Ressort arbeitsteilig Redakteure für Recherchen, die länger dauern als einige Minuten oder Stunden, frei zu stellen. Es muss natürlich auch die Redakteure geben, die das Schwarzbrot des Nachrichtengeschäfts erledigen. Doch in Zukunft werden besonders Regionalzeitungen nur dann eine Chance haben, die ein Alleinstellungsmerkmal entwickeln – und das ist in vielen Fällen eine qualitativ hochwertige Hintergrundberichterstattung und nicht atemloser Häppchenjournalismus.

Das Gespräch führte Tobias Reichelt

Leif Kramp und Stephan Weichert stellen am heutigen Donnerstag ihr Buch um 18 Uhr in der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung, Heinrich-Mann-Allee 107, Haus 17, vor. „Die Meinungsmacher“ ist im Verlag Hoffmann und Campe erschienen und kostet 20 Euro

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