Kultur: Auf dem besten Weg
Ludwig van Beethoven und seine 2. Sinfonie: Aufbruchswerk in eine neue Dimension
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„Alle neun Sinfonien an vier Tagen“ heißt es im Februar bei der Kammerakademie Potsdam. Ein Konzertmarathon mit den Sinfonien von Ludwig van Beethoven, wie ihn das Orchester noch nie bestritten hat. Die PNN stimmen in den kommenden Wochen mit regelmäßigen Beiträgen auf dieses Konzerterlebnis ein. Heute geht es um Beethovens 2. Sinfonie.
Die Uraufführung der 2. Sinfonie am 5. April 1803 in der Akademie des Wiener Theaters wurde mit zwiespältigen Gefühlen aufgenommen. Das lag einerseits an dem umfangreichen Programm des Abends, an dem neben der 1. und 2. Sinfonie auch das Oratorium „Christus am Oelberge“ und das 3. Klavierkonzert mit Beethoven als Solist zu hören waren. Dazu ein leicht derangiertes Orchester, das Beethoven am Tage des Konzerts noch einer Marathonprobe von über sechs Stunden aussetzte. Nur mit einem Büffet aus Brot, kaltem Fleisch und reichlich Wein ließen sich die Musiker besänftigen. Wobei der Wein beim anschließenden Konzert nicht ohne Wirkung geblieben sein wird.
Doch war es vor allem das Neue seiner 2. Sinfonie, das für Zurückhaltung beim Premierenpublikum sorgte. Das lag nicht allein daran, dass hier eine Komposition zum ersten Mal zu hören war und das Publikum das Neue erst einmal erfassen und verarbeiten musste. Da ging es Beethovens Zeitgenossen nicht viel anders als uns, wenn wir eine Uraufführung im Konzert erleben, die uns überrascht und auch verwirrt. Als ein „merkwürdiges, kolossales Werk, von einer Tiefe, Kraft und Kunstgelehrsamkeit, wie sehr wenige“, bezeichnete damals ein Kritiker die 2. Sinfonie. Eine „bewunderungswürdige Summe origineller und zuweilen höchst seltsam gruppierter Ideen“.
Fast genau vier Jahre nach der Premiere seiner 1. Sinfonie war der 33-jährige Beethoven auf der Suche nach einem eigenen Weg längst aus dem Schatten von Mozart und Haydn herausgetreten. Sein musikalisches Wunschdenken, seine Ideen, dieser in ihm ständig treibende Fortschrittsgedanke nahmen immer deutlichere Formen an. Es war ein produktive Zeit für den Komponisten, der genussvoll mit allem experimentierte, das ihm zur Verfügung stand. Ob nun Klavier- oder Violinsonate, ob Oper, Oratorium oder die Sinfonie, hier versuchte einer, hier wagte einer und schuf sich neue Spielregeln und Spielräume. Gleichzeitig wurde Beethoven bewusst, dass es die Sinfonie sein würde, die er am stärksten prägen wollte und musste, um wirklich etwas Neues und Überragendes zu schaffen. Das ist ihm gelungen, denn seit Beethoven gilt die Sinfonie als höchste und gleichzeitig repräsentativste Gattung autonomer Tonkunst.
Intensiv und von einer zuweilen dramatischen Klarheit ist der Auftakt der 2. Sinfonie. Hier erhebt sich ein Komponist selbstbewusst und deutet klar an, was er in den folgenden Sinfonien immer deutlicher werden lässt: dass jede Stimme im Orchester eine eigene Bedeutung erhält, losgelöst von der reinen Verstärkungsfunktion oder der Beschränkung auf die Begleitung. Gleichzeitig berührt diese Musik zutiefst, wühlt mit Erhabenheit an den empfindlichsten Stellen und wirkt mit ihrem kraftvollen Strahlen, das schon auf das Kommende deutet, auf den Zuhörer wie etwas Fassbares. Beethoven, der als Musiker ganz genau um die Effektivität der kompositorischen Mittel wusste, zeigt sich schon hier als Meister von Tempo und Maß. Und als Komponist, der mit wenigen Takten zugleich beglückt und erschüttert, zutiefst berührt und in der Größe seines Anspruchs unfassbar bleibt. Vielleicht auch einer der Gründe, warum uns die Musik Beethovens auch heute noch so nah ist. Und dann der zweite Satz: In so vielen Momenten mit seiner zurückhaltenden Schönheit, diesem hoffnungssatten Aufblühen der Streicher, das auch immer etwas Mahnendes hat. Beethovens Komposition zeigt sich hier – und auch das ist neu – als eine Art Drama. Ein Auf und Ab der Themen, die sich ständig steigern. Ein Hin und Her von Zu- und Abneigung, das Beethoven in bis heute unübertroffener Kunstfertigkeit in seiner Musik verband.
Inwieweit Beethovens einsetzende Taubheit Einfluss auf die 2. Sinfonie hatte, ist umstritten. Im Spätsommer hatte Beethoven sein „Heiligenstädter Testament“ niedergeschrieben, in dem er sich auf erschütternde Weise mit seiner fortschreitenden Taubheit auseinandersetzte. Zu diesem Zeitpunkt hatte er die Arbeiten an der 2. Sinfonie aber schon abgeschlossen, diesem hell-klarsichtigen Aufbruchswerk in eine neue Dimension.
„Bizarr, wild und grell“, war damals über die Uraufführung seiner 2. Sinfonie zu lesen. Ein anderer Kritiker verglich sie gar mit einem „grob behauenen Monstrum, einem durchbohrten Drachen, der unbeugsam weiterkämpft und nicht sterben will und der, obwohl er sein Blut verliert, vergebens mit dem Schweife zornig um sich schlägt“. Ja, Ludwig van Beethoven war auf dem besten Weg, wie es sich dann in seiner 3. Sinfonie, der sogenannten „Eroica“, offenbarte.
Die Kammerakademie Potsdam unter der Leitung von Antonello Manacorda spielt vom 13. bis 16. Februar alle neun Sinfonien von Beethoven im Nikolaisaal in der Wilhelm-Staab-Straße 10/11. Weitere Informationen und Karten unter www.kammerakademie-potsdam.de
Dirk Becker
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